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Keine Sieger, keine Besiegten: Heiner Geißler zwischen Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU, l.) und Brigitte Dahlbender, der Vorsitzenden des BUND Baden-Württemberg.

© dapd

Kein Zurück: Stuttgart 21 und die Sinnfrage

Stuttgart 21 wird gebaut, aber anders als geplant. Das Ergebnis der Schlichtung ist rechtlich nicht verbindlich, psychologisch und politisch aber eine so hohe Hürde, dass keine Seite an Geißlers Anregungen vorbeikommt.

Seien wir ehrlich und völlig unromantisch: Der Stuttgarter Kopfbahnhof ist, rein ästhetisch, eine Zumutung und wirklich keinen Bürgerkrieg wert. Man darf ihn sogar hässlich nennen. Aber er ist eben ein Symbol dafür geworden, dass von nun an die da oben mit denen da unten bei Großplanungen nicht mehr umspringen können wie mit einer Kindergartenschar, deren Betreuerinnen schon wissen, was für die Buben und Mädchen gut ist. Stuttgart 21 wird gebaut, jedoch anders als geplant. Das Ergebnis der Schlichtung ist rechtlich nicht verbindlich, psychologisch und politisch indes eine so hohe Hürde, dass keine Seite an Geißlers Anregungen vorbeikommt.

Geißler verlangt einschneidende Verbesserungen, weil die Gegner von Stuttgart 21 Planungsmängel aufgezeigt haben, die auch die Vertreter der Bahn einräumen mussten. Es konnte keinen Kompromiss zwischen „Bahnhof oben“ und „Bahnhof unten“ geben, eine vernünftige Umplanung aber wohl schon. Dass dies erreicht wurde, haben wir Heiner Geißler zu verdanken, dem Schwaben aus Oberndorf am Neckar, der den Deutschen, denen oben und denen unten, seit dem 6. Oktober vorgeführt hat, wie eine Graswurzeldemokratie funktioniert. Der in neun Schlichtungsrunden durchexerziert hat, dass selbst Planungen, die vor langer Zeit korrekt zustande gekommen sind, immer wieder auf ihre anhaltende oder eben hinfällig gewordene Sinnhaftigkeit überprüft werden dürfen. Heiner Geißler, der in Stuttgart jene, die sich im Recht fühlten, dazu brachte, ihre Position zu verdeutlichen und ihre Absichten zu rechtfertigen.

Das ist der entscheidende Faktor: Wer verändern will, muss belegen, was die Bürger davon haben. Den Bahnplanern in Stuttgart und ihren politischen Sekundanten ging es jetzt so wie zuvor den Wasser- und Schifffahrtsdirektionen im Raum Berlin, die in ihrem Drang, jeden Fluss zu kanalisieren und zu denaturieren, ebenfalls lange keine Rücksicht darauf nahmen, ob es dafür überhaupt einen Bedarf gibt. Eine vorgeblich nötige Bahn-Transversale von Paris bis Bratislava ist eine Schimäre. Das haben die Planer nun auch zugegeben.

Diese Überzeugungsarbeit konnte nur jemand wie Heiner Geißler leisten. Einer, der in der Politik nichts mehr zu gewinnen oder verlieren hat. Der gerade deshalb über große Autorität verfügt, weil er das politische Geschäft kennt und weiß, wie Entscheidungen vorbereitet und gefällt werden. Aber er hat Unterstützung bei seiner Stuttgarter Mission gehabt. Zum Beispiel die Tatsache, dass der Bahnchef nicht mehr Hartmut Mehdorn, sondern Rüdiger Grube heißt, ein Mann, der, genauso wie sein kluger Vorstandskollege Volker Kefer, das Zuhören gelernt hat. Dann ein Ministerpräsident Stefan Mappus, der nach der größten anzunehmenden politischen Dummheit – dem bösen Versuch, die Demonstranten zu diskriminieren – gerade noch die Kurve bekam und die Schlichtung durch die offizielle Nominierung Heiner Geißlers in Gang brachte. Und schließlich Boris Palmer, grüner Tübinger Oberbürgermeister, in dem sich wacher Verstand und politische Leidenschaft vereinen.

Ein Zurück hinter das Stuttgarter Verfahren kann es bei künftigen Großprojekten in Deutschland nicht mehr geben. Eine Verstärkung der unmittelbaren Demokratie, wie sie Geißler fordert, ist sinnvoll. So schnell juristisch umsetzbar ist sie nicht. Bis dahin gilt das Stuttgarter Verfahren – mit dem man zum Beispiel sogar das Pro und Contra von Flugrouten zum neuen Flughafen BBI erörtern kann.

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