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Meinung: Keine Diktatur ist noch keine Demokratie

Die Übergangszeit nach Saddam wird lang / Von Ferhad Ibrahim

Wenige Monate bevor Colin Powell seine Ansichten über die Demokratisierung der arabischen Welt verkündete, veröffentlichten die UN den „Arab Human Development“Report. Darin wurde der katastrophale Zustand der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung in der arabischen Welt dargelegt. Der Bericht machte auf die stagnierende Wirtschaft in den letzten 20 Jahren sowie auf das alarmierende Bevölkerungswachstum und die hohe Analphabetenrate aufmerksam. Die Situation der Frauen hat in den letzten zwei Dekaden kaum Fortschritte gemacht. Die UN schlagen eine stärkere Beteiligung der Bevölkerung am politischen und sozialen Leben vor. Dass die Region dringend demokratische Reformen braucht, behauptet also nicht nur Bush-Regierung und ihre neokonservativen Strategen. Das Ziel ist nicht umstritten, allenfalls der Weg dorthin.

Dass in allen 22 arabischen Staaten autoritäre Regime an der Macht sind, verleitete stets zu der Frage, ob die arabische und islamische Welt demokratieresistent sei. Selbst die Türkei, Jordanien und Kuwait sind bestenfalls defizitäre, unvollständige Demokratien. Die dritte Demokratisierungswelle, die die Diktaturen Südeuropas wegfegte und ein Jahrzehnt vor dem Ende des Kalten Krieges auch in Lateinamerika und Afrika virulent wurde, hat die arabische Welt nicht erreicht.

Die arabischen Systeme, die von den sozialistischen Diktaturen Osteuropas vieles gelernt haben, dulden keine Dissidenten. Gewappnet mit dem Ausnahmerecht und einem Arsenal von Sondergesetzen wird jede abweichende Meinung im Keim erstickt. Die autoritären Regime stützen sich dabei auf eine eigene Mischung aus Moderne und Tradition. Stammesbindung, regionale und konfessionelle Solidaritäten ergänzen die modernen Kontroll- und Überwachungsapparate.

Der Irak ist dabei ein besonders schwieriger Fall. Zum einen, weil der Staat wegen seiner multiethnischen Zusammensetzung nur mit Gewalt zusammengehalten werden kann: Die sunnitisch-arabische Minderheit, die etwa 20 Prozent der Bevölkerung ausmacht, wurde von den Briten bei der Gründung des Staates 1921 bevorzugt. Die schiitische Mehrheit, aber auch die kurdische Minderheit wurden nie angemessen berücksichtigt. Zum anderen war der Irak stets ein Tummelplatz für politische Bewegungen. Die Kommunisten wuchsen vor dem Putsch von 1958 zur größten kommunistischen Partei Arabiens heran, die arabischen Nationalisten verschiedenster Couleur fanden hier ihre Anhängerschaft. Der Irak war der Geburtsort des separatistischen kurdischen Nationalismus genauso wie des politischen Schiitismus: In den heiligen schiitischen Stätten in Nadschaf und Karbala lehrten etwa Chomeini und der geistige Führer der libanesischen Hisbollah, Fadlallah.

Schließlich entstand im Irak seit dem blutigen Putsch von 1958 eine unheilvolle Tradition politischer Gewalt. Kommunisten gegen Bathisten, Bathisten gegen Nasseristen und Kommunisten, der Staat gegen die Kurden und Saddam gegen alle. Wichtig ist also, welchen Weg die USA bei der Errichtung einer repräsentativen Demokratie einschlagen.

Die irakischen Oppositionellen, die bis vor kurzem an der Konzipierung einer neuen Ordnung im Irak maßgeblich beteiligt waren, sprechen neuerdings von Verrat. Der Vorwurf lautet, die USA hätten die Übernahme von Saddams Staatsapparat geplant. Tatsächlich sickerte durch, dass die USA neben einem Militärregime auch eine von ihnen geleitete Zivilverwaltung aufbauen wollen, ohne die Funktionäre der regierendenden Bath-Partei zu entfernen. Eine Lehre aus der Afghanistan-Erfahrung: Die Dinge sollen geregelt sein, bevor die Iraker die Macht übernehmen. Die US-Regierung will verhindern, dass wie beim irakischen Aufstand von 1991 alte Rechnungen beglichen werden. Und man will nicht, dass der Iran über die irakischen Schiiten an Einfluss gewinnt.

Ein amerikanisches Militärregime scheint für eine gewisse Zeit unabdingbar zu sein. In den „Thinktanks“ wird ein Szenario wie in Japan nach dem Zweiten Weltkrieg diskutiert. Allerdings verfügt der Irak über keine integrierte Gesellschaft wie das damalige Japan. Die Deformierung des politischen Lebens im Irak in den letzten 50 Jahren, die Schwächung der Zivilgesellschaft und die daraus resultierende Stärkung der Gruppensolidaritäten machen eine lange Übergangsphase notwendig. Der Irak braucht die Unterstützung von Ländern wie Deutschland, Kanada und natürlich den USA – föderative Staaten, die helfen können, die Grundlage für einen Modus Vivendi der Iraker zu legen.

Allerdings wird das Ergebnis wohl kaum ein demokratischer Staat nach westlichem Muster sein. Angesichts der vielfältigen Turbulenzen im Nahen Osten und der irakischen Geschichte, wäre ein liberal ausgerichtetes System wie das jordanische oder das türkische eine mögliche Alternative. Im Grunde genommen ist jedes Regime im Nahen Osten, trotz massiver Defizite, bei weitem humaner als das Saddam Husseins.

Ob ein neuer Irak die Demokratisierung der Region vorantreibt und der Terrorismus geschwächt wird, wie es die Strategen in Washington vermuten, ist allerdings Spekulation. Zum einen, weil diese Strategie den Erfolg des Irak-Modells voraussetzt, und zum anderen, weil eine vierte Demokratisierungswelle im Nahen Osten ohne Bewältigung der existierenden Probleme unvorstellbar ist. Denn Demokratie kann nur auf der Basis einer starken Zivilgesellschaft entstehen.

Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft an der FU Berlin.

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