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Meinung: Keine Ost-Erweiterung des Wahnsinns

Von Christoph von Marschall So war es noch vor jedem großen Qualitätssprung in der EU, vormals EG/EWG: Einige Monate vor der Entscheidung wird der Ton schärfer, die Stimmung skeptischer. Ob Binnenmarkt, Maastricht, die Neuregulierung der Stimmengewichte vor Nizza oder die Währungsunion: Kurz vor Toresschluss wird hart um nationale Interessen gerungen, die große historische Begründung gerät aus dem Blick.

Von Christoph von Marschall

So war es noch vor jedem großen Qualitätssprung in der EU, vormals EG/EWG: Einige Monate vor der Entscheidung wird der Ton schärfer, die Stimmung skeptischer. Ob Binnenmarkt, Maastricht, die Neuregulierung der Stimmengewichte vor Nizza oder die Währungsunion: Kurz vor Toresschluss wird hart um nationale Interessen gerungen, die große historische Begründung gerät aus dem Blick. Am Ende gab es meist eine Lösung: Die Kontrahenten stecken ein bisschen zurück, zum Trost gibt’s etwas Schmerzensgeld aus den Brüsseler Kassen, die wiederum zum Gutteil aus deutschen Überweisungen stammen. Warum auch nicht, kein Land profitiert mehr von der Integration als die Wirtschaftsmacht Bundesrepublik.

Nun steht die Ost-Erweiterung vor der Tür, und die Verhandlungen drohen sich an den Agrarbeihilfen festzufahren. Na, da wird sich doch die Bundesregierung am bekannten Muster orientieren, denn die allgemeine Regel gilt hier doppelt: Kein Mitglied hat mehr Nutzen von der Erweiterung als Deutschland, politischen wie ökonomischen. Stimmt zwar, rein rechtlich haben auf die Direktbeihilfen nur Altmitglieder Anspruch, weil die doch ein Ausgleich für entgangene Marktpreise sind. Doch darf man es den polnischen Bauern zumuten, im Binnenmarkt gegen die hoch subventionierte westliche Konkurrenz anzutreten, wenn sie selbst auf die Beihilfen verzichten müssen? Da wird sich doch wohl Berlin, der Anwalt der Mitteleuropäer, für die Gleichbehandlung einsetzen. Denkste, Gerhard Schröder will die bisherige Agrarpolitik keinesfalls auf Neumitglieder übertragen. Selbst Verhandlungen, ob die Kandidaten einen gewissen Anteil der Direktbeihilfen erhalten, wie es die EU-Kommission vorschlägt, lehnt er ab.

Alles womöglich aus Rücksichtnahme auf Frankreich und Spanien, weil die Erweiterung nur mit deren Stimmen möglich wird? Von wegen. Auch die konfrontiert Schröder kurz vor dem EU-Gipfel in Sevilla mit unerwarteten Zumutungen: Er beruft sich auf einen Beschluss von 1999, noch in diesem Sommer die Agrarpolitik grundsätzlich zu überprüfen. Die Hauptempfänger hatten gehofft, bis zum Ende der laufenden Finanzperiode 2006 unbehelligt zu bleiben und eine fundamentale Reform, die zu geringeren Subventionen führt, auch danach noch ein paar Jahre hinauszögern zu können.

Die Abkehr vom alten Muster – Deutschland erkauft Kompromisse – ist überfällig, nicht nur mit Blick auf die deutsche Haushaltslage. Der neue Kurs ist auch weder EU-feindlich (wie manch andere Schröder-Äußerung in Sachen Europa) noch egoistisch: Großbritannien, die Niederlande und Schweden tragen den Vorstoß mit. Eine Gesundung des kranken Agrarmarkts, der rund die Hälfte des EU-Haushalts verschlingt, ist unausweichlich. Es wäre falsch, ein falsches System auf die Neumitglieder zu übertragen.

Es geht darum, aus den Verhinderungs- und Verzögerungsargumenten – a) Subventionen für alle sind nicht finanzierbar, und b) wie sollen EU-Bauern in Osteuropa ohne ähnliche Beihilfen mit EU-Bauern aus Westeuropa konkurrieren? – ein politisches Beschleunigungsargument zu machen. Die Erweiterung setzt die Europäische Union unter hohen Reformdruck, nicht nur in der Agrarpolitik. Dieser Reformdruck ist heilsam. Besten Dank an die Neuen.

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