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Meinung: Keiner für keinen, jeder für sich

Weniger als ein Drittel der Israelis vertraut noch der Führung des Landes Von Ari Rath

Für Israels Ministerpräsidenten Ehud Olmert könnte der Anfang des Endes seiner kaum zehn Monate alten Regierung angebrochen sein. Am vergangenen Donnerstag war er der letzte Zeuge in der von ihm ernannten Untersuchungskommission, die in einigen Wochen ihren Bericht über die Umstände des unseligen Libanonkriegs veröffentlichen wird. Israels Generalstabschef Dan Halutz hat schon sein eigenes Urteil gefällt und ist von selbst zurückgetreten. Der dritte in diesem Führungsdreieck, Verteidigungsminister und noch Arbeitsparteivorsitzender Amir Peretz, kämpft um sein politisches Überleben in beiden Ämtern.

Es ist ohne Präzedens in den kaum sechs Jahrzehnten der Geschichte des Staates Israel, dass weniger als ein Drittel der Bevölkerung der politischen Führung des Landes ihr Vertrauen schenkt. Vielen scheint jetzt klar zu sein, dass Olmert, ein ehemaliger Bürgermeister Jerusalems und nachher Handels- und Finanzminister in der Regierung von Ariel Scharon, in viel zu große Schuhe stieg, als er vor 13 Monaten, nach Scharons Schlaganfall, das Amt des Ministerpräsidenten übernahm.

Doch außer den wiederholten politischen Fehlschlägen sind Israels heutige Regierungsspitzen von mehreren Polizei- und Gerichtsuntersuchungen geplagt, die auch Olmert selbst betreffen und das Ende seiner Regierung schneller als erwartet verursachen könnten. Fast jede Woche bringt einen neuen moralischen Schlag und politischen Skandal, der Olmerts engste Mitarbeiter betrifft und das geringe Vertrauen in seine Regierung weiter erschüttert. Wie schlimm es auch klingen mag: Israel wird heute von einem Kabinett unter Verdacht regiert.

Wie konnten sich die Normen der israelischen Gesellschaft in den letzten Jahren so zum Schlechteren verändern? Diese Frage liegt vielen Israelis auf den Lippen, besonders jenen der Gründergeneration. Vergangen sind die Zeiten, in denen fast ein Drittel der Minister aus Kibbuzim stammte, die ihr Gehalt dem Kollektiv abgeben mussten. Doch ist selbst die Kibbuzbewegung ja heute schon privatisiert, und die Mitglieder bekommen ihre eigenen differenzierten Gehälter. Sicher, auch damals gab es kleine Korruptionsfälle. Sie standen aber in keinem Verhältnis zu den heutigen Versuchen von wichtigen Politikern, das Rechtswesen und die Spitzen der Steuerbehörden zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Der Glaube an das Ideal, eine gerechtere Gesellschaft mit wahrem Pioniergeist aufzubauen, gab damals überwiegend den Ton an.

Es gibt offenbar vier Hauptgründe, die Israels heutige Gesellschaft so viel individualistischer und materialistischer gemacht haben. Erstens: Es wächst der Anteil der aus dem Nahen Osten und Nordafrika und aus der ehemaligen Sowjetunion stammenden Israelis, denen die klassischen Werte der zionistischen Aufbauideale und des Gemeinschaftssinns fremd sind. Zweitens: Das bestehende Parteiensystem, in dem interne Vorwahlen die Vertretung im Zentralkomitee und im Parlament sowie die Wahl des Parteivorsitzenden bestimmen, erfordert von den Kandidaten einen großen finanziellen Aufwand. Die Versuchung, sich von zweifelhaften finanziellen Quellen unterstützen zu lassen, ist stark und hat auch Ministerpräsidentskandidaten der großen Parteien betroffen.

Drittens: Der enorme internationale Erfolg von Israels jungen Hitech- und Computertalenten, der die Aussichten, auf kurzem Weg Millionär oder sogar Milliardär werden zu können, einer ganzen Generation konkret darstellt, hat einen neuen materialistischen Glauben an die Geldmacht geschaffen. Viertens: Die bald vierzig Jahre, in denen der junge jüdische Staat zu einer öfters rücksichtslosen Besatzungsmacht wurde, haben Israels moralisches Rückgrat schwer beschädigt und damit das gesamte Gesellschaftswesen des Landes sehr belastet.

Das ist, in der Tat, eine sehr schwierige und besorgniserregende politische Bilanz, die nur von einem neuen, unbelasteten und herausragendem Führungsteam in eine bessere Richtung gelenkt werden kann. Tapfere politische Entscheidungen, die zu einer friedlichen Teilung des Landes und zum Verzicht auf die meisten besetzten Gebiete führen sollten, müssten an der Spitze der Tagesordnung einer solchen neuen Regierung Israels stehen.

Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Jerusalem Post“ und arbeitet heute als freier Publizist.

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