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Meinung: Kinderbetreuung: Hort der alten Argumente

Das ist doch was: Fünf Jahre, nachdem der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz eingeführt wurde, sind in fast allen Bundesländern rund 90 Prozent der Kinder zwischen drei und sechs Jahren mit einem Platz versorgt; die ostdeutschen Länder, Berlin, das Saarland und Rheinland-Pfalz melden sogar ein Überangebot. Worüber regen sich die Eltern eigentlich auf?

Das ist doch was: Fünf Jahre, nachdem der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz eingeführt wurde, sind in fast allen Bundesländern rund 90 Prozent der Kinder zwischen drei und sechs Jahren mit einem Platz versorgt; die ostdeutschen Länder, Berlin, das Saarland und Rheinland-Pfalz melden sogar ein Überangebot. Worüber regen sich die Eltern eigentlich auf? Kann man mit der Betreuungssituation nicht zufrieden sein?

Die Antwort lautet: Nein. Einen Kindergartenplatz zu haben, bedeutet noch lange nicht, auch Raum für eine Berufstätigkeit - und sei es in Teilzeit - zu haben. Viele Kindergärten in Westdeutschland schließen bereits um 13 Uhr ihre Tore; nicht einmal jedes fünfte Kind erhält dort ein Mittagessen. Katastrophal sind die Betreuungsangebote für Kinder unter drei Jahren: In Baden-Württemberg etwa gibt es für 1000 Kinder nur 13 Krippenplätze! Und wenn dann die Grundschule beginnt, dürfen sich die Eltern erneut auf unregelmäßige und kurze Betreuungszeiten einstellen. Nach wie vor wird es in Deutschland gerade Müttern unnötig schwer gemacht, Kinder und Beruf zu vereinbaren. Weibliche Erwerbstätigkeit steht offenbar nicht hoch im Kurs.

Man erinnere sich: Auch der Anspruch auf den Kindergartenplatz wurde seinerzeit nicht etwa eingeführt, um den Bürgerinnen, Wählerinnen und Steuerzahlerinnen mit Kindern eine geregelte Berufstätigkeit zu ermöglichen. Sondern um die Reform des Abtreibungsparagrafen abzufedern: Eine Frau werde ihre Schwangerschaft eher austragen, so argumentierte man, wenn sie drei Jahre später auf einen Kindergartenplatz vertrauen könne. Muss man eigentlich immer mit der Steigerung der Geburtenrate oder der Verhinderung von Abtreibungen argumentieren, um etwas einzufordern, was selbstverständlich sein sollte?

Dass es auch anders geht, zeigt gerade eines der ärmeren Bundesländer: In Sachsen-Anhalt haben Eltern einen Anspruch auf eine zehnstündige Betreuung von der Geburt ihres Kindes bis zum Ende der Grundschulzeit. Das bedeutet nicht, dass die sachsen-anhaltischen Dreikäsehochs ihre Eltern nicht mehr zu Gesicht bekommen. Niemand wird gezwungen, Kinder die vollen zehn Stunden aus dem Haus zu geben, mancher Vater und manche Mutter werden lieber ihre Arbeitszeit reduzieren oder zeitweise zu Hause bleiben. Aber diejenigen Eltern, die voll arbeiten wollen oder müssen, können es tun. Kinder gelten ja nicht deswegen als "Armutsrisiko", weil sie täglich neue Markenschuhe benötigten. Sondern weil ein Gehalt wegfällt oder hohe Kosten für private Betreuung entstehen, sobald sie auf der Welt sind.

Eines haben die vergangenen Jahre gezeigt: Die im europäischen Vergleich miserable Betreuungssituation in Deutschland ist kein Naturzustand, mit dem man sich abzufinden hätte. Immerhin 600 000 neue Plätze wurden aufgrund des Rechtsanspruchs geschaffen, 21 Milliarden Euro hat das gekostet. Das ist schon was. Aber was jetzt folgen muss, ist mehr: Es geht darum, ein bedarfsgerechtes und flexibles Betreuungssystem für Kinder aller Altersstufen aufzubauen. Ein Gutscheinsystem, wie vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung vorgeschlagen, könnte ein Weg sein, Wettbewerb zwischen den Anbietern zu ermöglichen. Und es geht darum, Standards für die Qualität der Einrichtungen zu entwickeln. Schließlich sollen die Krippen, Kindergärten und Schulen keine Bewahranstalten sein, sondern Orte, wo Kinder mit Gleichaltrigen spielen und lernen - und sich vielleicht auch mal von ihren Eltern erholen.

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