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Sigmar Gabriel und seine Parteigenossen bei den Koalitionsverhandlungen.

© Reuters

Koalitionsverhandlungen: Mager springt man weiter

Die Koalitionsverhandlungen brachten bisher eher kleine Ergebnisse. Doch wer will schon Revolutionen? Oft genügt es schon, den Handelnden mit einem kleinen Gesetz auf die Sprünge zu helfen.

Von Antje Sirleschtov

Es ist ungefähr vier Jahre her, dass der vorletzte Vizekanzler von Angela Merkel dem Publikum in Deutschland mit einer „geistig-politischen Wende“ drohte. Das klang beängstigend nach Mega-Reform, manchem schwante so etwas wie eine Revolution. Der Vizekanzler wurde ungläubig angesehen, die Kanzlerin, als Ostdeutsche revolutionserfahren, tat so, als habe sie den Wende-Aufruf nicht gehört. Denn die Deutschen haben mit der Euro-Krise, dem steigenden Wettbewerbsdruck auf den globalen Märkten und dem chaotischen Schulsystem ihrer Kinder wahrlich genug am Hals. Nach revolutionären Umwälzungen, das belegt jede Umfrage, steht ihnen nicht der Sinn – ganz gleich, wohin gewendet und gewälzt werden soll. Deshalb haben sie im September auch Merkel gewählt. Die will nämlich nichts umstürzen, weshalb keiner allzu viel Sorge haben muss, versehentlich geopfert zu werden. Und was aus dem Vizekanzler wurde, ist bekannt: Die Wähler schickten Guido Westerwelle ins Abseits.

Sigmar Gabriel verabschiedet sich von seinen Zielen

Sigmar Gabriel hat seine Lehren aus dieser Episode gezogen. Vom großen Ziel seiner SPD im Wahlkampf, die Gesellschaft durch Zusatzsteuern für Reiche und Besserverdiener gerechter zu machen, verabschiedet er sich stückchenweise mit dem Hinweis darauf, dass mit der Union das nicht, vieles andere aber wohl zu machen ist. Für jene, die von Gabriel erwartet hatten, dass er das Wahlprogramm der SPD im Koalitionsvertrag umsetzt, ist das eine bittere Enttäuschung. Genauso wie für die, die erwarten und lautstark einfordern, dass sich „große“ Koalitionen auch „große“ Projekte vornehmen.

Dabei ist es klug, was der SPD-Chef macht. Denn ein bisschen mehr sozialdemokratische Politik in den nächsten vier Jahren ist für viele im Lande wahrscheinlich besser als gar keine. Allein, dass jemand mit regiert, der den gröbsten Fehlentwicklungen am Arbeitsmarkt den Kampf ansagen will, wäre es wert.

Koalitionsverhandlungen bringen magere Ergebnisse

Überhaupt tröpfeln aus diesen Koalitionsverhandlungen von Union und SPD bisher vor allem Meldungen über Einigungen hervor, die bei genauerer Betrachtung eher von magerer politischer Bedeutung sind. Die schwarz-rote Mietpreisbremse wird wohl kaum dafür sorgen, dass tausende Sozialwohnungen entstehen. Und genauso sieht es mit der Gleichstellungspolitik aus. Im öffentlichen Dienst und in Großkonzernen dürfen jetzt Betriebsräte verlangen, dass der Personalchef anonyme Listen über die Einkommen der Mitarbeiter führt, damit Frauen ihre Nachteile beim Lohn in Zukunft schwarz auf weiß nachvollziehen können. Nach einem fulminanten Sieg der Feminismus-Kämpfer/-innen sieht das nicht aus. Aber wer weiß: Vielleicht führt diese Transparenz dazu, dass demnächst in Tarifverhandlungen über Frauenkomponenten gesprochen wird. Den Betroffenen käme das zugute. Politik muss nicht unbedingt das Ende der herrschenden Verhältnisse versprechen. Oft genügt es schon, den Handelnden mit einem kleinen Gesetz auf die Sprünge zu helfen, damit sich etwas ändert.

Ein Fahrplan zur Energiewende wäre aber nicht schlecht

Merkel und Gabriel werden wahrscheinlich auch im Rest ihrer Verhandlungen nichts Revolutionäres mehr vereinbaren. Ein Fahrplan zur Energiewende wäre gut, auch ein Weg, wie das lächerliche Kooperationsverbot von Bund und Ländern bei der Finanzierung von Schulen beerdigt werden kann. Und am besten noch das gemeinsame Versprechen, selbst dann keine neuen Staatsschulden zu machen, wenn die Konjunktur nicht mehr so gut läuft. Und das wäre doch schon was.

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