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SPD-Chef Sigmar Gabriel auf dem Bundesparteitag in Leipzig.

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Koalitionsverhandlungen: Rot-Rot-Grün ist noch lange keine Alternative

Die Sozialdemokraten wollen doch keine rot-rot-grüne Koalition ausschließen. Doch über die erste Annäherung hinaus sind die alten Wunden zwischen SPD und der Linken nicht verheilt. Nun muss die Linkspartei zeigen, dass sie für eine Regierungsbildung bereit wäre.

Ein kurzer Satz mit großer Wirkung: „Für die Zukunft schließen wir keine Koalition (mit Ausnahme von rechtspopulistischen oder -extremen Parteien) grundsätzlich aus.“ So hat es die SPD in der vergangenen Woche auf ihrem Bundesparteitag in Leipzig beschlossen und man kommt nicht umhin, diesen Beschluss historisch zu nennen. Rot-Rot-Grün wird jetzt also auch im Bund denkbar. Fast ohne jede Diskussion haben die Delegierten der sozialdemokratischen Ausschließeritis ein Ende gesetzt. Der Beschluss war überfällig. Viel zulange hat sich die SPD von der Union mit roten Socken vorführen lassen.

Tabubruch bei der SPD

Vor allem die SPD-Linken frohlocken. Nach über zwei Jahrzehnten ist das umstrittene Tabu gefallen. Doch noch wird die Euphorie von der Illusion getragen. Eine Alternative zur Großen Koalition ist eine rot-rot-grüne Bundesregierung noch lange nicht. Es wäre naiv zu glauben, die SPD könne einfach nach zwei Jahren so mir nichts dir nichts die Große Koalition verlassen und Sigmar Gabriel zum rot-rot-grünen Kanzler wählen. Von der Theorie zur Praxis, aus den linken Strategiestuben ins Kanzleramt, ist es noch ein ziemlich weiter Weg. Viele Fragen und viele Gegensätze, viele programmatische Hürden und viel historischer Ballast liegen noch auf dem Weg der Annäherung. Ein paar Selbstfindungsgespräche werden dafür nicht ausreichen. Selbst bis 2017 wird die Zeit da knapp.

Die SPD wird auf dem Weg zu rot-rot-grünen Bündnissen noch viele innerparteiliche und viele öffentliche Debatten führen müssen. Das Misstrauen gegen über der ungeliebten linken Konkurrenz ist weiterhin groß. Viele Sozialdemokraten und vor allem die meisten Wähler in Deutschland müssen erst noch davon überzeugt werden, dass sie von einem Linksbündnis gut regiert würden. Derzeit tendiert die Akzeptanz eines solchen Bündnisses in der Bevölkerung gegen null. Attraktive rot-rot-grüne Zukunftsideen sind noch Mangelware. Schon alleine tut sich die SPD schwer, eine moderne linke Politik zu formulieren, die sowohl in die Mitte der Gesellschaft als auch in die alte Kernwählerschaft ausstrahlt. Zusammen mit Grünen und Linken wird dies nicht einfacher.

Historische Verantwortung der SED-Nachfolgepartei

Vielen Sozialdemokraten ist deshalb nicht wohl bei dem Gedanken an eine rot-rote Annäherung. Darüber hinaus sind zwei sehr emotionale Wunden im Verhältnis von SPD und Linke lange noch nicht verheilt. Erstens steht die Linke als SED-Nachfolgepartei in der historischen Verantwortung für die Verbrechen des Stalinismus und für die Verfolgung von Sozialdemokraten in der DDR. Aber ihr fällt es immer noch schwer, diese Verantwortung anzunehmen. Zweitens hat der ehemalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine mit seinem Parteiwechsel und seiner scharfen und teilweise verlogenen Kritik gegen seine Ex-Partei und ihre Agenda-Politik viele Sozialdemokraten gegen die Linke aufgebracht. Zwar hat sich Lafontaine aus der Bundespolitik zurückgezogen, aber sein Politikstil wirkt bis heute nach.

Für viele Linken-Politiker bleibt die SPD der Hauptfeind, der die sozialdemokratischen Ideale verraten hat. Der anti-sozialdemokratische Schlachtruf „Hartz IV muss weg“ gehört genauso zu den Gründungsmythen der Linkspartei wie ein naiver linker Pazifismus. Linke Sozialpolitik reduziert sich auf die Forderung, die Reichen sollen zahlen. Politiker der Linkspartei hingegen, die darauf verwiesen, dass der Reichtum erst erwirtschaftet werden muss, bevor er verteilt werden kann, steht bis heute unter Sozialdemokratismus-Verdacht. Jeder gelernte DDR-Bürger und vor allem jeder ehemalige SED-Genosse versteht sofort, dass das ein politisches Verbrechen ist.

"Verrat" schreien reicht nicht

Die SPD hat es der Linken in den letzten beiden Jahrzehnten allerdings auch leicht gemacht. Weil sie jede Zusammenarbeit mit der Linken ausschloss, konnte die Linke die tief greifenden innerparteilichen Gegensätze mit Formelkompromissen überdecken. Grundsatzentscheidungen wurden vermieden, so gaben die Sektierer und Fundis in Ost und West den Ton der innerparteilichen Debatten vor. Die Linke hat sich in den letzten Jahren bequem in der Opposition eingerichtet, Rot-Rot-Grün im Bund war nie eine ernsthafte Option.

Vergiftete Kooperationsangebote

Zwar ließen führende Politiker der Linkspartei vor allem in Wahlkampfzeiten keine Gelegenheit aus, ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der SPD zu signalisieren. Aber solche Angebote waren in der Regel vergiftet. Sie dienten nur dazu, die SPD im Wahlkampf vorzuführen. Schließlich folgte darauf immer wieder gleich der Hinweis darauf, die SPD müsse zunächst ihren Verrat an der Arbeiterklasse beenden, die Hartz-Gesetze wieder abschaffen, zur Rente mit 65 zurückkehren und die deutschen Soldaten aus Afghanistan heimholen. In der Europa-Frage war sich die Linke zudem nicht zu Schade, auch rechtspopulistische Ressentiments zu mobilisieren.

Die billige Wahlkampfnummer war am Wahltag durchaus erfolgreich. Sie beschert Gregor Gysi nun das ehrenvolle Amt des Oppositionsführers gegen die Große Koalition. Aber so einfach werden es sich Gysi und Co. zukünftig nicht mehr machen können.

Raus aus der Komfortzone

Wenn es die Realos in der Linkspartei ernst meinen mit einer Zusammenarbeit, dann wird es nicht reichen, weiter mit dem Finger auf die SPD zu zeigen und „Verrat“ zu schreien. Es wird auch nicht reichen, die Herausforderungen internationaler Politik zu betrachten und „ohne uns“ zu sagen. Wenn die linken Realos tatsächlich im Bund als Koalitionspartner akzeptiert werden wollen, dann werden sie das ideologische Schneckenhäuschen der 70er Jahre verlassen und in den eigenen Reihen ein paar unangenehme Diskussionen führen und entscheiden müssen. Und wenn Gregor Gysi recht hat mit seiner Feststellung, es gebe in seiner Partei zehn Prozent Spinner, dann wird die Linke nicht jeden Genossen auf dem Weg in die Realpolitik mitnehmen können.

Die SPD hat auf ihrem Parteitag in Leipzig einen wichtigen symbolischen Schritt Richtung Rot-Rot-Grün gemacht. Zwei grundsätzliche Bedingungen hat sie dabei für eine Zusammenarbeit mit der Linken formuliert: eine finanzierbare Politik und eine verlässliche Europa- und Außenpolitik. Zu hoch liegt die Latte damit nicht. Mit der Operation Realpolitik könnte Gregor Gysi sein Lebenswerk krönen, einfach wird das nicht. Aber die Linke hat jetzt eine Bringschuld, die Schonzeit ist vorbei.

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