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Meinung: Kolonie Europas

Wieder einmal nehmen wir uns Afrikas an, wieder einmal ohne die Afrikaner

Der Versuch, Ordnung in Afrika zu schaffen, hat Europa schon immer fasziniert. Nun wird heute zwar nicht mehr über das Aufteilen des gesamten Kontinents geredet, wie noch 1884 auf der Berliner Afrikakonferenz, sondern nur über das Aufteilen der afrikanischen Schulden. Der politische Wille, vielleicht sogar der moralische Impetus, der hinter der Londoner Afrikakonferenz steckte, spiegelt durchaus die historische Entwicklung in den vergangenen 120 Jahren wieder; der Diskurs ist nicht mehr kolonial, er ist gleichwohl postkolonial.

Die Vorstellung Europas, sich eines ganzen Kontinents annehmen zu müssen – ihn sogar neu ordnen zu können – ist ganz die alte. Das ist nicht einmal ein Missverständnis: als es im vergangenen November vor allem französische Soldaten waren, die in Elfenbeinküste in den Bürgerkrieg eingriffen, verwunderte das niemand; auch dass Robert Mugabe denkt, er könne mit Enteignungen weißer Farmer in Simbabwe innenpolitisch punkten, zeigt, wie wirksam die kolonialen Reflexe auf beiden Seiten weiterhin sind. Der Vorschlag aus Großbritannien, die Ärmsten der Armen Afrikas zu entschulden, ist also auch das: Ausdruck einer erstaunlichen Kontinuität. Das koloniale Erbe ist noch immer nicht vererbt; der Zustand der afrikanischen Semiselbstständigkeit setzt sich fort.

Die Europäer reden – merkwürdigerweise zu einem Zeitpunkt, da es ihnen selbst wirtschaftlich relativ schlecht geht – unter sich über einen Schuldenerlass, als reichte eine dramatische humanitäre Geste. Dabei sind andere Zusagen längst gemacht, im Millennium-Projekt der Vereinten Nationen. Warum beträgt die deutsche Entwicklungshilfe noch immer 0,28 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, wenn die Industrienationen doch 0,7 Prozent zugesagt haben? Warum fordert Jacques Chirac eine globale Steuer zu Gunsten der Armen, statt gegen die EU-Agrarzölle vorzugehen, die nicht zuletzt die französischen Bauern vor der Konkurrenz aus Afrika schützen soll?

Afrika ist kein politischer Monolith, die ehemaligen Kolonialherren sollten es wissen: Afrika ist Nigeria, ein Agrarland, das unter dem „Fluch der Ressource“ Öl zusammenbricht. Dort wäre vermutlich eine internationale Kontrolle der Öleinnahmen sinnvoll. Afrika ist Sudan, wo ein Wirtschaftsembargo weiterhelfen würde – das im UN-Sicherheitsrat aber am Widerstand der Russen und Chinesen scheitert. Afrika ist also kein Problem, das Europa allein in London, ohne die Afrikaner, lösen könnte. Es ist erstaunlich, dass sich das seit 1884 nichts geändert hat.

Der schwarze Kontinent ist vor allem arm und wird immer ärmer. 1960 war China noch ärmer als Afrika, heute ist das asiatische Land drei Mal so reich. Dafür trägt inzwischen die Vergangenheit keine Verantwortung mehr, sondern die, die in Afrika heute an der Macht sind.

Wenn, wie es immer wieder heißt, die von den Kolonialmächten vollzogenen willkürlichen Grenzziehungen der Hauptgrund für Bürgerkrieg und Elend in Afrika sind, warum werden sie dann nicht geändert? Der Krieg in Jugoslawien, brutal und blutig, hat am Ende eines doch gezeigt: dass die vielen Völker dort gar nicht zusammen in einem Vielvölkerstaat leben wollen und man sie besser dazu auch nicht zwingen sollte.

Für die politischen Strukturen Afrikas müssen die Afrikaner selbst verantwortlich sein. Dass die Afrikanische Union eine Friedenstruppe nach Darfur schickt – und nicht etwa die Bundeswehr – ist Ausdruck einer gewachsenen Souveränität; anderes, wie das fortgesetzte Leugnen der Aids-Katastrophe durch Südafrikas Thabo Mbeki, zeigt, wie lang der Weg Afrikas auch noch ist.

Der ehrgeizige Entschuldungsplan schafft ohne Frage eine neue Ordnung für Afrika. Er allein würde aber letztlich den Ordnungsprinzipien der Vergangenheit folgen.

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