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EU-Justizkommissarin und Vize-Kommissionschefin Viviane Reding.

© dpa

Kolumne: Einspruch: Hüterin oder Hütchenspielerin?

Justizkommissarin Viviane Reding schmeichelt auf dem Juristentag Deutschlands Rechtsgelehrten und sieht eine Art stillen Länderfinanzausgleich zwischen den Euro-Staaten schon jetzt durch die EU-Verträge gedeckt.

Am Freitag haben sich auf dem Juristentag in München noch einmal potente Richter und Denker wie Andreas Voßkuhle und Jürgen Habermas an Europa abgemüht. Unvergesslich aber war der Auftritt der EU-Justizkommissarin Viviane Reding drei Tage zuvor. Ihre Ansprache hatte Charme und Witz. Sie begann mit einer Verbeugung vor der anwesenden „Crème de la Crème des deutschen Rechts“ und schraubte sich über Datenschutz und Frauenquote hinauf zu einem ironischen Loblied auf den deutschen Juristen, seine einzigartige Ausbildung, seine Fähigkeit zur Struktur, seine Körperkräfte, mit denen er telefonbuchdicke Gesetzeskommentare durch die Gegend schleppt. Auch Reding selbst legt Wert auf einen deutschen Prädikatsjuristen als Kabinettschef, ein Mann, der für sie zu sein scheint, was Persil einst für die Hausfrau war: „Da weiß man, was man hat.“

Weiß sie das? Sodann wandte Reding sich Europa zu und las eben jenen deutschen Juristen die Leviten. Immerzu sei hier zu Lande von Rechtsbruch die Rede, alles Rechtsbrecher: Merkel, Schäuble, die Europäische Zentralbank. Dabei sei das alles Europas gutes Recht: Die temporäre Überschreitung der Maastrichter Defizitkriterien, die umstrittenen Anleihekäufe der EZB, das Einstehen für überschuldete Mitgliedstaaten. Sie muss es wissen, schließlich sei die Kommission als Hüterin der Verträge berufen.

Es war erfrischend, den in Deutschland so legalistischen Europadiskurs einmal ins Nonchalante gewendet zu bekommen. Nur kamen die Juristen nicht aus ihrer deutschen Haut. Darf die das? Die Kurve um die Maastricht-Kriterien ist länger her, über das EZB-Programm lässt sich gewiss streiten. Entschieden abzulehnen aber sind die Andeutungen der Kommissarin, nach dem EU-Vertrag sei das Füreinandereinstehen in schlechten Zeiten eher die Regel, der Ausschluss der Mithaftung für fremde Schulden dagegen die Ausnahme. Das haut nicht hin. Die sogenannte No-Bail-out-Klausel in Artikel 125, die vermeiden soll, dass EU-Staaten einander aus der finanziellen Klemme helfen, ist ein Verbot. Es kann nicht einfach durchbrochen werden. Sein Sinn ist, Staaten und Märkten klarzumachen, dass ein Land für sich selbst verantwortlich wirtschaftet und deshalb reelle Zinsen zahlt. Dass es keine Bonität aufgrund eines dauerflüssigen gemeinschaftlichen Geldgebers gibt. Der Rettungsfonds ESM wird deshalb ausdrücklich als Ausnahme installiert, nicht als Regel.

Wäre alles so, wie Reding es schildert, ließen die EU-Verträge wohl schon jetzt eine Art stillen Länderfinanzausgleich zu. So war es aber nicht verabredet. Wenn diese Unbekümmertheit zeigen soll, wie die Kommission die Verträge zu hüten gedenkt, sind Zweifel erlaubt. Sollte Reding wirklich zu schätzen wissen, was sie an deutschen Juristen hat - dann auch deren Widerspruch.

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