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Der japanische Starautor Hakuri Murakami.

© dpa

Kolumne "Ich habe verstanden": Mein erster Murakami

Bis vor Kurzem hatte unser Kolumnist Matthias Kalle noch nie etwas von dem japanischen Autor Haruki Murakami gelesen. Doch an seinem neuesten Werk kam auch er nicht vorbei.

Der japanische Schriftsteller Haruki Murakami blieb bis lang von mir unbeachtet. Das ist natürlich nicht Murakamis Schuld, sondern meine. Ich hatte es bislang schlichtweg nicht geschafft, mich mit dem Werk dieses Schriftstellers zu beschäftigen, ich hatte zu viel zu tun mit den Werken anderer Schriftsteller. Natürlich kannte ich Murakami. Ich wusste, dass nicht wenige halbintellektuelle Jungs auf ihrem Weg zum Mannsein über das so genannte Murakami-Mädchen gestolpert sind und seitdem das Verlieben etwas verwirrt angehen. Ich wusste natürlich auch, dass Murakami neben Philip Roth der größte lebende Schriftsteller ist, der bis jetzt keinen Literaturnobelpreis gewonnen hat. Trotzdem: Es kam immer was dazwischen, zwischen Murakami und mir.

Jetzt habe ich ein Buch von ihm gelesen, das neueste, „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“. Bevor ich aber das Buch gelesen habe, hatte ich Interview mit Murakami gelesen, Rezensionen, Leser-Bewertungen im Internet. Fand ich alles interessant. Jetzt, nachdem ich das Buch durch habe, finde ich das, was ich über das Buch gelesen habe, interessanter als das Buch selbst. Das Buch ist nicht schlecht, keineswegs. Aber irgendwie... Ich weiß nicht. Irgendwie ist dieses Buch furchtbar egal – bei manchen Stellen musste ich auf dem Einband nachschauen, ob das wirklich von Murakami ist oder nicht doch von Paulo Coehlo.

"Ich habe weder etwas gegen Coehlo noch gegen Murakami"

Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Ich habe weder etwas gegen Paulo Coehlo noch gegen Haruki Murakami und ich habe auch nichts gegen die Werke der beiden. Ich kann auch nachvollziehen, dass viele Menschen sehr begeistert davon sind. Aber bei mir funktioniert das nicht, und auch das ist bestimmt meine Schuld. Bevor ich „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“ gelesen habe, las ich „Stoner“ von John Williams. Das Buch hat mich erschüttert, es hat mich verwirrt und glücklich und traurig und verstört und aufgewühlt zurückgelassen. Weil in dem Buch alles stimmte: die Sprache, die Figuren, die Geschichte, der Punkt, auf den alles hinauslief.

Beide Bücher erzählen die Lebensgeschichte einer erfundenen Figur, aber während man zu Herrn Tazaki immer in Distanz bleibt, immer fern, denkt man bei William Stoner irgendwann: „Das bin ja ich! Das ist ja meine Geschichte! Das ist ja mein Leben!“ Das ist natürlich auch etwas unheimlich. Unheimlich finde ich auch folgendes: Dass man sich auf Buchkritiker nicht verlassen kann. Einige, denen ich bisher blind vertraut hatte, loben den neuen Murakami in den Himmel – andere, denen ich bisher nichts geglaubt hatte, schrieben begeistert über „Stoner“ – der ADAC-Skandal lässt mich kalt, aber dass man sich auf die Kritiker nicht mehr verlassen kann, das macht mich fertig.

"Manchmal denke ich, dass ich einen miserablen Geschmack habe"

Komischerweise ist das aber nur bei Literatur so – in anderen Bereichen nicht. Bei Pop, Kino, Theater, Fernsehen – kann ich mich blind auf mein Urteil der Kritiker verlassen. Es gibt einen Fernsehkritiker, der regelmäßig zum Beispiel über den „Tatort“ schreibt. Wenn der den „Tatort“ lobt, dann weiß ich: ganz, ganz schlechter „Tatort“. Wenn er ihn ganz, ganz schlecht findet, dann weiß ich: dieser „Tatort“ wird mit Sicherheit sehr, sehr gut.

Manchmal denke ich, dass ich einen furchtbar miserablen Geschmack habe.

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