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Der Mensch hat Sehnsucht nach der Natur. Wie hier, in der Lüneburger Heide.

© Picture Alliance / dpa

Kolumne: Ich habe verstanden.: Stadt oder Land?

Die Menschen wissen nicht mehr was sie wollen. Und überhaupt ist es immer dort besser, wo man gerade nicht ist. Unser Kolumnist Matthias Kalle fragt sich: Gibt es überhaupt einen Unterschied zwischen Stadt und Land?

Die „Bild“-Zeitung regt sich darüber auf, dass das ZDF im Rahmen der Spielübertragungen der Frauenfußball-EM einen Spot zeigt, in dem eine Frau einen Ball in eine Waschmaschine schießt. Der Spot ist nicht gut, die meiste Eigenwerbung ist nicht gut, aber dass sich „Bild“ jetzt hervortut als Rächer des Feminismus, während das Blatt sich gerade mal wieder auf die Suche nach dem „Sommermädchen“ macht und auch sonst auf die bescheuertsten Geschichten kommt, um Frauen so nackt wie möglich zu zeigen, dass beweist doch eine ziemliche Orientierungslosigkeit innerhalb der eigenen, kaputten Wertevorstellungen.

Vielleicht ist es ein Merkmal unserer Zeit, dass die Menschen nicht mehr so recht wissen, was sie eigentlich wollen. Seit Jahren ist das Magazin „Landlust“ irre erfolgreich, die Auflage liegt bei 1,1 Millionen und damit über der des „Spiegel“. Der Erfolg liegt auch darin, dass Menschen, die gezwungenermaßen in einer Stadt leben, mit diesem Magazin ihrer Sehnsucht nach dem Land nachgehen können, der moderne Mensch denkt ja oft im stillen: Überall ist es besser wo ich nicht bin.

Alles das Gleiche

Wenn ein Magazin mit einer klaren Position erfolgreich ist – so denken manche Verlage – machen wir entweder genau das gleiche (es gibt „Landlust“-Zwitter und –Zombies, sie heißen „Landidee“, „Landleben“ und „Liebes Land“ ) oder das genaue Gegenteil (wo es einen Markt für Autozeitschriften gibt, gibt es auch einen für Fahrradzeitschriften): Vor einigen Wochen schrieb Sebastian Leber auf der Medienseite des „Tagesspiegel“ einen lustigen, klugen Text über das Magazin „Stadtlust“, das sehr wenig mit „Lust“ zu tun hat und überhaupt nichts mit „Stadt“ – wenn man es durchblättert, findet man Themen, die vor allem mit Natur zu tun haben und wie man es schafft, sich in einer Stadt so zu fühlen, als sei man auf dem Land. Auf dem Cover sieht man Menschen an einem Tisch herumsitzen, irgendwo draußen, viel grün im Hintergrund. Soll wohl eine typische urbane Dachterrasse sein, könnte aber auch in der Lüneburger Heide aufgenommen worden sein. Die Botschaft lautet dementsprechend: Stadt ist wie Land nur größer.

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Im Verlag Blanvalet ist jetzt ein Buch erschienen, es heißt (und da stößt man dann wohl an die Grenzen des Sagbaren) „Stadtlust – Vom Glück in der Großstadt zu leben“. Was sieht man auf dem Cover? Das Berliner „Badeschiff“ – viel blau, viel Wasser, viel Himmel, im Hintergrund die Oberbaumbrücke und der Fernsehturm, aber weit genug weg, mehr so als Kulisse. Das Buch, so heißt es, habe „die Landlust-Illusion enttarnt“. Und wie? „Nur die Stadt bietet angesagte Kneipen und Kinderkrippen, Jobs und Junkfood ebenso wie Biogemüse, Bus und Bahn und Bibliotheken. Mögen uns noch so bunte Hochglanzmagazine in Millionenauflage ein Landidyll vorgaukeln – die Realität sieht anders aus: von Vielfalt und Flexibilität keine Spur.“ Die Autorinnen des Buches stammen aus Heidenheim an der Brenz (46.000 Einwohner) und Sindelfingen (60.000 Einwohner), da wird man bestimmt ganz wuschig über „angesagte Kneipen“.

Gibt es den Unterschied überhaupt?

Gibt es eigentlich etwas Langweiligeres als die Suche nach der Antwort auf eine Frage, die keiner stellt (Stadt oder Land?)? Und wenn man schon aus einer Art von Eingeschnapptheit die Stadt gegenüber dem Land verteidigen will, dann sollte man auch die Unterschiede beschreiben und nicht so tun, als sei die Stadt das bessere Land, weil man auch in der Stadt baden kann und im Grünen essen. Vielleicht sollte man sich auch fragen, ob es überhaupt Unterschiede gibt. Was man so hört, kann man auf dem Land auch von Autos angefahren werden, Drogen kaufen, einsam sein und Opfer eines Gewaltverbrechens werden. Aber darüber schweigen „die Medien“ natürlich.

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