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Bei den spannenden Debatten den eigenen Senf in nur 140 Zeichen dazugeben - Twitter macht´s möglich.

© dpa

Kolumne "Ich habe verstanden": Twitter ist wohl nichts zum zuschauen

Schon bei Facebook hatte der Tagesspiegel-Kolumnist Matthias Kalle das Gefühl, dass das nichts für ihn ist. Deshalb hat er sich auch erst gar nicht weiter mit Twitter beschäftigt - bis jetzt. Kaum angemeldet, wird Kalle nun als Voyeur abgestempelt, weil er noch nichts Eigenes geschrieben hat.

Ich bin jetzt bei Twitter. Moment! Schreiben Sie bitte noch keinen Leserkommentar! Lesen Sie erst zu Ende! Denn: Alles, was Sie jetzt schreiben würden, hätte ich vor einer Woche auch geschrieben. Mittlerweile aber behaupte ich das Gegenteil. Und das kam so.

Auf dem Blog meines Freundes Christoph Koch gibt es eine schöne Rubrik mit dem Namen „Mein Medien Menü“. Da erzählen Menschen, die irgendwie was mit Medien zu tun haben, welche Medien sie selbst nutzen. Ich finde das ja irre interessant. Am interessantesten finde ich, was die alles konsumieren. Und wie viel! Fünf australische Magazine, von denen ich noch nie gehört habe – und ich bin ja vom Fach! Komisch, denke ich dann manchmal, dass die so viel lesen und dabei so wenig eigene Ideen und Gedanken haben und nie, nie, nie von selbst auf eine Geschichte kommen, die wirklich spannend ist.

Und dann las ich da vor kurzem das „Medien Menü“ eines Kollegen, den ich sehr schätze, und der schrieb eben auch über Twitter, darüber, wie er sich mühsam an diesen Dienst herangetastet hat, um schlussendlich genau den Menschen „zu folgen“, von denen er wirklich spannende Gedanken und interessante Verweise zu anderen Geschichten bekommt. Jetzt, so der Kollege, nutze er morgens Twitter, um auf den Stand der Dinge zu kommen.

Ich bin in meinen Meinungen nicht stalinistisch, ich muss die nicht bis zum Gehtnichtmehr verteidigen. An dieser Stelle habe ich mich schon das eine oder andere Mal über Facebook gewundert – ohne dabei abfällig über Facebook oder deren Nutzer zu urteilen. Ich hatte nur immer das Gefühl, das Facebook nix für mich ist, Schluss, Aus, fertig. Auf Grund dieser Haltung habe ich mich dann auch mit Twitter nicht weiter beschäftigt – beide Angebote waren für mich irgendwie dasselbe. Und abgesehen von dieser kleinen Kolumne ist mein Mitteilungsdrang auch wirklich nicht sonderlich ausgeprägt, das meiste, was ich so denke, ist nur für mich interessant, für andere wahrscheinlich nicht so. „Haben Sie Humor, wenn Sie alleine sind?“, fragt Max Frisch in seinen Tagebüchern. Meine Antwort darauf lautet: „Ja. Eigentlich habe ich nur Humor wenn ich alleine bin und alleine bleibe.“ Teile ich meinen Humor mit anderen, scheint plötzlich der Witz verloren zu gehen, und dann würde ich ja ziemlich doof dastehen.

All diese Bedenken warf ich dann allerdings am Wochenende über Bord und meldete mich bei Twitter an. War leicht. Dann suchte ich nach Menschen, die ich kannte und denen ich traute. Folgte ihnen. Schaute mir an, wem die folgten, folgte denen, bekam die ersten Tweets, toll, irre, Sachen gibt’s. Ganze viele Menschen, das stellte ich auch ziemlich schnell fest, haben zu allen eine Meinung; andere Menschen schreiben endlich mal das, was alle schon immer gesagt haben; in amerikanischem Magazinen stehen wirklich unglaubliche Sachen drin. Und Veronica Ferres hat offenbar Karten für das Champions-League-Finale in Wembley und will über das Spiel live berichten.

Gestern schwärmte ich gegenüber einem Kollegen, der schon länger bei Twitter ist – ich erzählte ihm von den tollen Geschichten, die ich dank der Empfehlungen gefunden hätte, ich zeigte mich begeistert von den Ideen der anderen. „Aber nicht nur lesen! Auch mal schreiben“, sagte da der Kollege, und es klang fast streng, beinahe ermahnend, so also sei ich ein Spanner, ein Voyeur. Da habe ich dann den ganzen Tag drüber nachgedacht und am Abend las ich dann wegen des 200. Geburtstag des Philosophen Sören Kierkegaard in der vor zehn Jahren erschienen Biografie von Joakim Garff – ein fast hundertseitiges Meisterwerk. Und es gibt da eine Szene, zwei Wochen vor Kierkegaards Tod. Der Philosoph ist bereits sehr schwach, das Ende naht, da kommt sein bester Freund Emil Ferdinand Boesen zu Besuch. Er bringt die Abschiedspredigt mit, Kierkegaard wirft nur einen kurzen Blick drauf und bittet dann den Freund die Predigt wieder zurückzuschicken. Boesen findet das nicht richtig, er sagt: „Der Weg zur Seligkeit muss doch auch möglich sein durch dies Bestehende hindurch.“ Kierkegaard antwortet: „Ich kann nicht darüber reden, es strengt mich sehr an.“

Ach, Kierkegaard! Alles, was er sagte und schrieb, scheint immer zu stimmen und auf alles zu passen. Trotzdem! Irgendwann, vielleicht schon bald, werde ich meinen ersten Tweet schreiben. Ganz bestimmt. Wenn Sie mir also schon mal folgen wollen...

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