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Robert Leicht war Chefredakteur der "Zeit". Heute arbeitet er für die Wochenzeitung als politischer Korrespondent. Seine Kolumne im Tagesspiegel erscheint montags im Wechsel mit Alexander Gauland.

© C.v.S.

Kolumne "Leicht's Sinn": Was fällt denen ein, meine Daten zu verkaufen

Der Staat sollte nicht das Recht haben, Meldedaten seiner Bürger weiterzugeben. Unser Autor hat keine Lust, zum Geld anderer zu werden.

Während die anderen jetzt erst einmal Olympia gucken, können wir in Ruhe ein paar Themen nacharbeiten, zum Beispiel die Sache mit dem neuen Meldegesetz. Unsere Abgeordneten sind ja bis nach Karlsruhe gezogen, weil ihnen die Euro-Rettungsaktion vonseiten der Regierung nicht richtig erklärt worden war. Aber wozu aufwendige gouvernementale Didaktik in komplizierten Angelegenheiten, wenn sich nun herausstellt, dass die Abgeordneten nicht einmal verstanden haben, was sie in einer eher simplen Frage selbst verbockt haben? Aber lassen wir das – war ja nur eine Petitesse!

Einmal im Ernst: Was soll das Klein-Klein um die Frage, ob die Meldedaten der Bürger an die Adresshändler nur weitergegeben werden dürfen, wenn der einzelne Bürger entweder ausdrücklich zugestimmt oder aber nur nicht ausdrücklich widersprochen hat? Es müsste doch völlig klar sein, dass der Staat persönliche Daten, die er aufgrund eines gesetzlichen Zwanges von seinen Bürgern hoheitlich einholt, in keinem Fall der kommerziellen Verwendung durch Dritte zuführen darf, womit er sich möglicherweise auch noch Zusatzeinnahmen jenseits des Steueraufkommens erwirbt. Meine Daten zu anderer Leute Geld zu machen – das steht dem Staat einfach nicht zu.

Nun mag man einwenden, diese Trennung zwischen hoheitlicher, zwangsbewehrter Bürgererfassung und adressgieriger Werbeindustrie sei zwar prinzipiell richtig, aber praktisch längst durchlöchert; mit dem neuen Gesetz hätten doch nur ein paar dieser Löcher notdürftig geflickt werden sollen. Im Übrigen brauche man ja nur einmal aufgrund eines Kataloges eine Bestellung aufzugeben – und schon bekomme man Woche für Woche immer mehr Kataloge von immer mehr Anbietern, weil die Versandfirmen ihrerseits untereinander einen schwunghaften Adresshandel betreiben und dabei vielleicht sogar anhand der Bestelldaten, der Konsumgewohnheiten und des Zahlungsverhaltens noch viel sensiblere Daten austauschen als jene, die im Melderegister verzeichnet sind, wer weiß … Doch es macht eben immer noch einen großen Unterschied aus, ob ich als Besteller, jedenfalls beim ersten Mal, freiwillig Angaben mache oder ob staatlich-autoritativ gesammelte Daten in Umlauf versetzt werden. Nicht zu vergessen: Bei solchen privaten Bestellungen kann man zum Schutz seiner Privatsphäre auch ein wenig schwindeln. Die staatlichen Daten aber, und das macht sie kommerziell zusätzlich interessant, müssen ja stimmen.

Zu Zeiten der alten Telefonbücher waren die Adressdaten jedenfalls jener Leute, die am Fernsprechverkehr teilnahmen, öffentlich verfügbar. Man musste sie nur massenhaft abschreiben und sich viele Telefonbücher kaufen. Doch der Anschlussinhaber konnte bei seinem Eintrag auf die Straßenangabe, das Ausschreiben oder Erwähnen seines Vornamens verzichten oder gar beantragen, nur bei berechtigtem Interesse und gegen Gebühr!, überhaupt nicht eingetragen zu werden. (Alle Mitbewohner blieben unerwähnt.) Je mehr Bürger sich aber nur noch ein Mobiltelefon halten, desto weniger geben die Telefonbücher noch her. Weshalb die staatliche Meldedaten noch interessanter werden.

Aber kaum ein Prinzipienreiter bleibt seinem Steckenpferd durchgängig treu. Ich wollte zum Beispiel vor einer Weile etwas mehr wissen von meinem Großvater mütterlicherseits, der im Februar 1945 mit seiner Familie in Dresden umgekommen war. Von dieser Familienseite wusste ich fast nichts. Also erkundigte ich mich im (öffentlichen!) Dresdner

Amtlichen Adressbuch von 1943 – und weiß jetzt wenigstens den damaligen genauen Wohnort und den Beruf des Mannes. Ja, gibt’s denn so was noch – amtliche Adressbücher? Die freilich nur den Haushaltungsvorstand verzeichneten.

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