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Der Autor ist Publizist und lebt in Potsdam. Von 1992 bis 2005 war er Herausgeber der "Märkischen Allgemeinen". Er ist stellvertretender Parteivorsitzende der "Alternative für Deutschland" (AfD).

© Thilo Rückeis

Kolumne: Mein Blick: Kein einig’ Land in dieser Zeit

Während die EU die Nationalstaaten immer unwichtiger erscheinen lässt, erstarken von Flandern bis Katalonien, von Schottland bis nach Südtirol separatistische Bewegungen.

Westeuropa, das waren einmal gefestigte Nationalstaaten, die dank imperialen Ausgreifens in die Welt und kolonialer Expansion ihre mittelalterlichen Teilidentitäten hinter sich gelassen hatten, während in Osteuropa die drei großen Reiche Russland, Deutschland und Österreich-Ungarn bei ihrem Zusammenbruch unsichere Nationalismen hinterlassen haben. Großbritannien, Spanien, Italien aber auch Holland und Belgien waren so lange ungefährdet, wie materieller und psychischer Überdruck in fremde Länder exportiert werden konnte. So gingen die Schotten auf den Schiffen des englischen Königs nach Amerika, Kanada und Australien und hatten teil an einer imperialen Identität, die den schottischen Stolz und den andauernden Konflikt mit England überwölbte. Man war noch Schotte, Katalane oder Flame, doch in Indien und Südamerika war man Brite oder Spanier, also Angehöriger einer größeren Nation, die Kiplings „White Man’s Burden“ in die Welt trug.

Das hat sich gründlich geändert. Der koloniale Auslauf ist Geschichte und Großbritannien wie Spanien definieren sich nicht mehr über eine vermeintliche Zivilisationsmission. Und so werden alte überlagerte Identitäten wieder lebendig, die lange vor den Nationalstaaten das mittelalterliche Europa geprägt haben. Schließlich, so fragen sich Katalanen, Flamen oder Schotten, was nützt uns Spanien, Belgien oder Großbritannien, wenn damit nicht mehr eine größere Reichweite in die Welt verbunden ist, wenn Schottland, Flandern oder Katalonien im europäischen Rahmen die gleichen Möglichkeiten haben könnten wie das Vereinigte Königreich, Belgien oder Spanien. Es ist schon so, je fester der europäische Rahmen, desto problematischer der alte des Nationalstaates, zumal wenn seine Teile infolge historischer Ungerechtigkeit eher zusammengezwungen als friedlich vereint wurden. Und so wie es den Schotten nun erlaubt wird, über ihre Zugehörigkeit zum Vereinigten Königreich selbst zu befinden, wird man auch Katalanen und Flamen das Selbstbestimmungsrecht nicht verweigern können. Denn es wird auf Dauer nicht möglich sein, die Identität des Kosovo gegenüber Serbien mit europäischen Waffen zu sichern, den Südtirolern aber dasselbe Recht unter Hinweis auf die ungerechten Pariser Vorortverträge von 1919 zu verweigern.

Wenn der Nationalstaat des ausgehenden 19. Jahrhunderts nicht mehr sakrosankt ist, dürften auch die Brennergrenze und das von den europäischen Großmächten 1831 als Bollwerk gegen Frankreich und Preußen geschaffene Belgien ihre historische Legitimation verlieren. Noch mag die historische Sentimentalität, die Erinnerung an den gemeinsamen Kampf in fremden Ländern und auf den Weltmeeren, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit nähren, auf Dauer wird auch hier die Kosten-Nutzen-Rechnung überwiegen und eine neue Generation ohne gemeinsame historische Erinnerungen die Trennung vollziehen, wenn Eigenständigkeit und Selbstregierung einen größeren Nutzen versprechen als das ewige Teilen mit vermeintlich Schwächeren. Noch ist das Nationalgefühl in den meisten Ländern nicht aufgezehrt, doch Südtiroler, Flamen und Katalanen sind nur die Vorreiter einer Entwicklung, die Nationalisten als Zerfall beklagen, die im Nationalstaat an den Rand gedrängten Völkerschaften aber als Wiedergeburt feiern.

Nicht nur der Euro teilt den Kontinent, auch längst überwunden geglaubte kulturelle und geschichtliche Kräfte haben das Zeug dazu.

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