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Hatice Akyün ist Autorin und freie Journalistin. Sie ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause.

© promo

Kolumne "Meine Heimat": Der Friederich, ein arger Wüterich

Eine Kampagne des Bundesinnenministeriums soll Familien und Freunde für eine mögliche islamistische Radikalisierung ihrer Mitmenschen sensibilisieren. Herausgekommen ist dumpfe, amtliche Propaganda.

Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler, lautet eine Weisheit der Werbebranche. Die Hälfte dessen, was man für Werbung ausgibt, ist rausgeschmissenes Geld, man weiß nur nicht welche, besagt eine andere. Keine Sorge, ich will Sie nicht in die Abgründe konsumorientierter Absatzstrategien entführen. Mich bewegt etwas ganz anderes.

Nehmen wir den Zettel am schwarzen Brett im Supermarkt oder den Aushang am Baum vor dem Haus. Auf dem einen steht: Junges Paar, Nichtraucher, sucht Zweizimmerwohnung. Auf dem anderen: Unsere Katze wird seit einer Woche vermisst. Dazu ein Bild von „Marlene“. Niemand käme auf die Idee, dass es diese Katze gar nicht gibt, und hier Katzenfutter beworben wird. Oder dass das junge Nichtraucher-Pärchen keine Wohnung sucht, sondern dass es um einen Bausparvertrag geht.

Wie verhält es sich aber nun, wenn Vermisstenanzeigen mit Bildern von virtuellen Menschen mit einem stereotypen Text plakatiert werden, Menschen, die einen sympathisch anlächeln? So geschehen jüngst in einer Plakataktion des Bundesinnenministeriums. Die Motive sehen wirklich putzig aus. „Vermisst“ werden die fiktiven Personen Ahmad, Hassan, Fatima und Tim, ein nett dreinblickender Mann, die nette Frau mit Kopftuch von nebenan, ein sympathischer Studententyp. Mit gekauften Gesichtern sollen die Konsumenten dazu bewegt werden, sich in ihrem sozialen Umfeld umzuschauen. Die Kampagne soll, so das Ministerium, für die Radikalisierung von Freunden, Söhnen und Töchtern sensibilisieren, wohlgemerkt ausschließlich von Muslimen oder von jenen, die sich dem Islam zugewandt haben. In Wort und Bild wurde dabei eine fiktive Hülse geschaffen, der jede Authentizität fehlt.

Unterstellen wir einen Moment, es ginge tatsächlich um Aufklärung und Hilfe für die gefährdete Zielgruppe, jene 0,1 Prozent der muslimischen Bevölkerung. Dann stellen sich bei dieser Herangehensweise die zwingenden Fragen: Ist die Kampagne Ausdruck totaler Hilflosigkeit, die pure Unfähigkeit oder steckt doch etwas ganz anderes dahinter, eine Botschaft hinter der Botschaft? Logisch gedacht überzeugt nur die dritte Option. Auf den Plakaten der Kampagne ergänzen sich Bild und Text perfekt und teilen dem Leser unverblümt mit: Jeder kann ein Terrorist sein. In diesem Licht betrachtet, sehen die Plakate aus wie Fahndungsaufrufe. Da man Fatima, Hassan und Ahmad nicht kennt – und auch den netten Tim nicht – stehen sie stellvertretend für die muslimische Bevölkerung insgesamt. Sie geben dank des Innenministers dem islamistischen Extremismus ein Gesicht. Ganz schön clever, aber auch ziemlich leicht zu durchschauen. Was vordergründig am Adressaten, also am Fisch, vorbei geht, kann nämlich hintergründig umso effektiver eine ganz andere Botschaft enthalten.

„Der Friederich, der Friederich, das war ein arger Wüterich“, heißt es im Struwwelpeter. Und so verkommt ein wichtiges Anliegen zu amtlicher, dumpfer Propaganda. Oder wie mein Vater sagen würde: „Her koyun kendi bacagindan asilir – jedes Schaf wird an seinen eigenen Beinen aufgehängt.“

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