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Hatice Akyün ist Autorin und freie Journalistin. Sie ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause.

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Kolumne "Meine Heimat": Ich kann bestimmen, wer mein Geld bekommt

Vor lauter Verbraucher-Sein fühlt man sich auch beim Staat schon als Kunde. Öffentliche Stellen unterstützen das und geben sich als Dienstleistung. Doch bei näherem Hinschauen wird deutlich: Dieses Modell passt hinten und vorne nicht.

Irgendwie fühle ich mich immer mehr als Kunde meines Staates. Im Bürgeramt gibt man sich „kundenfreundlich“, Arbeitslose sind „Kunden“ des Jobcenters. Für das, was ich vom Staat bekomme, entrichte ich eine Gegenleistung, meine Steuern. Was ist aber, wenn der Staat seinen Teil des Vertrages nicht einhält? Wenn er zum Beispiel nicht genügend Kita-Plätze zur Verfügung stellt? Oder nicht in der Lage ist, mich ausreichend vor verseuchten Lebensmitteln zu schützen? Wie liefe das Reklamationsverfahren ab? Welche Garantieleistung bekäme ich? Hätte ich Anspruch auf Entschädigung?

Spätestens jetzt wird klar, dass das Kundenmodell nicht wirklich funktioniert. Es ist quasi so, als ob man in seiner Bäckerei Schrippen, Semmeln oder Weckle verlangt, aber der Bäcker entweder nichts vom Backen versteht oder gar kein Interesse daran hat, seinen Kunden das Backwerk zu verkaufen, aber trotzdem darauf besteht, dass sie bezahlen. Wenn es also immer wieder möglich ist, mir Schrott als Lebensmittel zu verkaufen, sollte die Bestürzung uns nicht davon ablenken, dass mein Staat nicht in der Lage ist, das zu verhindern. Vertrauen heißt das Zauberwort, das seitens des Staates so dermaßen häufig missbraucht wird, dass es uns längst hat abstumpfen lassen. Wir haben bei den vielen Skandalen nur noch die Wahl, uns zwischen misslich, kläglich, bedauernswert und folgenschwer zu entscheiden.

Da arbeitet der Versandhändler Amazon überwiegend mit Arbeitskräften aus dem Ausland, die Zeitverträge bekommen, lässt sich von einer Firma bewachen, die zufälligerweise so heißt wie der Stellvertreter des Österreichers, der den Massenmord erfunden hat, aber mein Staat sieht keine Veranlassung, misstrauisch zu werden. Und wir, die Verbraucher, leisten dem durch unsere Bequemlichkeit Vorschub.

Die Kanzlerin kegelt vor der Wahl die größten Kundenbindungsprobleme weg. Irgendeine Art von Mindestlohn soll kommen, ein bisschen Konjunkturprogramm für die gebeutelten Südeuropäer, sogar den Gleichgeschlechtlichen wird ihr Menschsein zugebilligt. Mir ist das eine zu offensichtliche Anbiederung. Unsere Regierung versucht, uns maximal einzulullen. Und die Konkurrenz? Die skandalisiert den Gegner, um zu vertuschen, dass bei ihnen auch niemand einen Plan hat. Und damit man bei den Migranten nicht völlig mit leeren Händen dasteht, wird ihnen wieder einmal der Doppelpass versprochen. Das Dilemma ist, dass wir trotz Anbieterwechsels immer wieder dasselbe bekommen.

Deshalb nehme ich es jetzt selbst in die Hand, wo ich es kann. Letzte Woche habe ich meine Bücher wieder im Buchhandel bestellt. Ich musste zwar durch die eiserstarrte Stadt radeln, aber trotzdem spürte ich eine innerliche Wärme. Denn mir wurde klar, dass ich als Kunde bestimmen kann, wer mein Geld bekommt.

Meinem Staat werde ich ab sofort noch mehr auf den Zeiger gehen. Denn ich bin nicht sein Kunde, sondern sein Vorstand. Oder wie mein Vater sagen würde: „Tasima su ile degirmen dönmez“ – Von eimerweise herangetragenem Wasser dreht sich die Mühle nicht.

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