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Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. Im Tagesspiegel schreibt sie einmal pro Woche über ihre Heimat.

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Kolumne "Meine Heimat": Quotendeutscher

Hatice Akyün hat die ganze Welt zu Gast bei sich zu Hause. Unsere Kolumnistin freut sich darüber, wie begeistert ihr Besuch von Berlin und unserem Land ist.

Diese Woche hatte ich Besuch. Istanbul, San Francisco und Heidelberg zogen in meine Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung. Meine „Desperate Housewives“ flogen aus Istanbul ein, die Freundin aus San Francisco kam samt Ehemann kurz von der Westküste der USA rüber, und unser adoptierter Quotendeutscher reiste aus Heidelberg an. Es blieb uns nur übrig, Englisch zu sprechen, damit niemand außen vor blieb. Aber die Anordnung war komplexer, als ich dachte. Nese, am Klausenerplatz geboren, ging als Neunjährige mit ihrer Familie zurück nach Istanbul. Sie spricht hervorragendes Deutsch. Selda hat eine Sprachschule in Istanbul und bringt Türken Business-Englisch bei, Reyhan ist Familienanwältin mit überschaubaren Englischkenntnissen, kann aber ein paar Brocken Deutsch. Selda 2 arbeitet in Berkeley als Luftfahrtingenieurin, ihr Mann entwickelt Software für medizinische Geräte. Der Freund aus Heidelberg hat eine Ehe mit einer Türkin hinter sich, was ihn nicht davon abhielt, es später noch einmal erfolglos mit einer Türkin aus Izmir zu probieren. Er spricht Schwäbisch, Englisch, und wenn keiner damit rechnet, bildet er ganz plötzlich türkische Sätze. Drei Kinder waren auch dabei: Neses Sohn und die Zwillinge der Familienanwältin.

Fasziniert hat mich, wie diese bunte Truppe Berlin erkundete. Museumsinsel, Regierungsviertel, Jüdisches Museum, DDR-Museum, Currywurst, Gendarmenmarkt – jeden Tag Programm bis zum Umfallen. Und wenn ich, die ständig über Deutschland nörgelnde Kolumnistin, mal etwas sagen darf: Alle waren durchweg begeistert von unserem schönen, geschichtsträchtigen, modernen und multikulturellen Land.

Belohnt haben sich alle mit täglichen Besuchen im KaDeWe. Am Wochenende wollte ich ihnen dann endlich Kreuzberg zeigen, aber die Lust auf das zweite Istanbul hielt sich in Grenzen. Zu schmuddelig, zu öko, zu chaotisch. Lieber in Charlottenburg zum Edelitaliener, der eigentlich Türke ist. Als ich ihnen meinen Lieblingstürken am Savignyplatz zeigen wollte, hatte der sein Restaurantkonzept ohne mein Wissen geändert. Nun sind wir mexikanisch- amerikanische Grillstation. Jedenfalls endete der Berliner Besuch in einem türkischen Supermarkt, um sucuk, türkische Knoblauchwurst, zu kaufen. „Die gibt es doch auch bei euch“, sagte ich verwundert. „Aber nicht in dieser Qualität“, kam die Antwort. Porzellanfilter, Bohnenkaffee, Kondensmilch füllten die letzten Ecken in den Koffern der Rückreisenden. Oder wie mein Vater sagen würde: „Evdeki hesap carsiya uymaz.“ Die Rechnung, die zu Hause gemacht wird, geht auf dem Markt nicht auf.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. An dieser Stelle schreibt sie immer montags über ihre Heimat.

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