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Bei der Hadsch, der Pilgerfahrt nach Mekka, kommen tausende Menschen auf engstem Raum zusammen - ideale Verbreitungsbedingungen für einen Virus.

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Kolumne "Was Wissen schafft": Die Hadsch und das Mers-Virus

Vergangenen Freitag bestätigte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sechs weitere Fälle der gefährlichen Atemwegserkrankung "Mers". Kommende Woche beginnt die Pilgerfahrt nach Mekka. Sie könnte zu einem zynischen Experiment werden.

Ausgerechnet zu Beginn der Grippesaison verursacht ein neues Virus weltweite Aufregung: Vergangenen Freitag bestätigte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sechs weitere Fälle der gefährlichen Atemwegserkrankung „Mers“ (Middle East Respiratory Syndrome), die sich derzeit im Nahen Osten ausbreitet. Bisher wurden 136 Infektionen durch Labortests bestätigt, bei 58 Patienten endete die Krankheit tödlich. Sie beginnt meist mit grippeähnlichen Symptomen, die sich innerhalb weniger Tage zu einer schweren Lungenentzündung entwickeln.

Der Ausbruch einer bis dahin unbekannten tödlichen Atemwegserkrankung weckt bei der WHO böse Erinnerungen: Im Februar 2003 hatte man in Hongkong sporadische Fälle einer ähnlichen Atemwegsinfektion registriert. Kurz darauf breitete sich das Sars-Coronavirus weltweit aus, am Ende waren rund 8000 Menschen erkrankt und 774 gestorben. Wie sich erst später herausstellte, hatten die chinesischen Behörden den Ausbruch anfangs verschwiegen und nur zögerlich mit der Eindämmung begonnen. Margaret Chan, die damalige Gesundheitsdirektorin von Hongkong, stand massiv in der Kritik. Die Sars-Epidemie von 2003 gilt seitdem als Lehrbeispiel dafür, wie globale Seuchenbekämpfung nicht funktioniert.

Die WHO hat aus Sars und der „Schweinegrippe“ von 2009 viel gelernt. Sie betreibt ein weltweites Netzwerk zur Erkennung ungewöhnlicher Lungenerkrankungen, ihre Labore sind für den Nachweis neuartiger Viren gerüstet. Als vergangenen Sommer die ersten Fälle der Lungenkrankheit Mers aus Saudi-Arabien gemeldet wurden, stand nach wenigen Wochen fest: Der Auslöser von Mers gehört zur Familie der Coronaviren, wie das Sars-Virus von 2003. Mit diesem hat die Spitze der Gesundheitsorganisation bereits persönliche Erfahrung gemacht – die Hongkonger Ärztin Margaret Chan ist inzwischen Generaldirektorin der WHO.

Trotzdem zeigt Mers einmal mehr, dass Seuchenbekämpfung nicht nur im Labor stattfindet. Das Genom des Virus ist entschlüsselt, ein diagnostischer Test steht zur Verfügung. Doch die epidemiologischen Untersuchungen vor Ort kommen nur langsam voran. So sind die Übertragungswege des Virus bis heute nicht gesichert. Wegen des Befalls der Atemwege wird das Mers-Virus wahrscheinlich durch die Luft von Mensch zu Mensch übertragen. Vielleicht gibt es, wie bei vielen Coronaviren, zusätzlich einen Übertragungsweg vom Tier, etwa durch Fledermauskot oder Kamelfleisch. Die registrierten Fälle deuten darauf hin, dass Mers wesentlich gefährlicher als Sars, aber weniger ansteckend ist. Möglich wäre aber auch, dass der Erreger zusätzlich viele leichte, unerkannte Infektionen verursacht – dann wären die gemeldeten, schweren Erkrankungen nur die Spitze eines Eisberges.

Vereinzelte Infektionen bei arabischen Touristen wurden bereits in Großbritannien, Frankreich und Italien gemeldet; auch in Deutschland gab es zwei Fälle. Da sich die saudische Oberschicht häufig im Ausland medizinisch behandeln lässt, wäre ein Ausbruch in einer europäischen Klinik keine Überraschung. Um das Risiko für den Rest der Welt zu beurteilen, müsste die Epidemie in Saudi-Arabien genauer untersucht werden. Die Zeit drängt, weil das neue Virus jederzeit durch eine genetische Veränderung infektiöser werden könnte.

Doch bei den Herrscherfamilien des saudischen Königreichs, die weitgehend isoliert von ihrem Volk leben, hat die Seuchenbekämpfung keinen hohen Stellenwert. Bis heute gibt es, trotz aller Warnungen der WHO, kein landesweites Programm zur Überwachung von Mers. Virusproben sind für ausländische Forscher kaum zu bekommen.

So wird die kommende Woche beginnende Hadsch zu einem zynischen Experiment: Wenn unter den rund drei Millionen in Mekka erwarteten Pilgern keine Seuche ausbricht, ist das Mers-Virus derzeit nur wenig infektiös und hat nicht das Potenzial, eine Pandemie auszulösen. Im umgekehrten Fall wird, nach der Rückkehr der Pilger in ihre Heimatorte, jedenfalls die Verfügbarkeit von Virusproben kein Problem mehr sein.

Der Autor ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle.

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