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Kommentar: Afghanistanmandat:Ehrlich dauerte am längsten

Die Bundestagsdebatte zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr war eine Lager übergreifende Debatte. Vor allem war sie aber eine ehrliche Debatte: Jetzt wissen wir nicht nur, dass Krieg ist und Deutschland mittendrin - jetzt geben wir es zu.

Kann ein Land, ohne dass es den politisch Verantwortlichen bewusst wird, in einen Krieg hineingleiten wie in einen Graben, an dessen oberem Rand jemand steht und glaubt, einen guten Überblick zu haben, um sich dennoch einige Zeit später am Boden dieses Grabens wiederzufinden und nicht genau zu wissen, wie er überhaupt dorthin geraten ist? Hätte ein Prophet den Abgeordneten des Deutschen Bundestages am 22. Dezember 2001, als sie das erste Mal der Entsendung deutscher Soldaten nach Afghanistan zustimmten, vorhergesagt, dass sie in gleicher Angelegenheit auch im Februar 2010 noch abstimmen müssten, hätte es vermutlich nie eine Mehrheit im Plenum für die deutsche Beteiligung an den Operationen gegeben, mit denen nach der Entmachtung und Vernichtung von Taliban und Al Qaida Afghanistan stabilisiert werden sollte.

Erst in den Wochen vor der Abstimmung vom Freitag, der zehnten in der Sache, ist wirklich Ehrlichkeit über die deutsche, die internationale bewaffnete Mission am Hindukusch ins Parlament eingezogen. Das hängt vor allem mit dem Wechsel im Weißen Haus vor einem Jahr zusammen. Der Abgang von George W. Bush hatte die Phase des eindimensionalen Denkens in vorwiegend militärischen Kategorien beendet, die alle Lösungsansätze blockierte. Ohne seinen Nachfolger Barack Obama könnte sich in Afghanistan nicht der Oberkommandierende Stanley McChrystal entfalten. Ohne dessen auf Geheiß des Präsidenten und aus tiefer eigener Überzeugung mit äußerster Konsequenz durchgesetzten Schutz der Zivilbevölkerung vor Angriffen der westlichen Alliierten wäre der Bundeswehrführung und ihrer politischen Aufsicht in Berlin nicht so schnell die ganze furchtbare Dimension des nächtlichen Bombenangriffs auf die beiden Tanklastzüge im Kundusfluss bewusst geworden. Und ohne all dies zusammen hätte die Londoner Afghanistankonferenz vom 28. Januar sich vermutlich tatsächlich nur mit den Truppenstellern und nicht mit der Aufbau- und Abzugskomponente befasst.

Wenn im Bundestag gestern der Eindruck erweckt wurde, wesentliches an dieser positiven Entwicklung vom rein Kriegerischen zur Stabilisierung sei originär deutschen Ursprungs, ist das Selbsttäuschung und allenfalls weiße Salbe auf die Wunde vom 4. September 2009, Betäubung für die Seelenpein, die der Tod vieler Unschuldiger den dafür Verantwortlichen hoffentlich schafft. Originär deutsch an alledem war nur die jähe Erkenntnis: Ja, es ist Krieg, und Deutschland ist mittendrin. Und wenn dort gestorben wird, dann sind nicht nur deutsche Opfer zu beklagen, sondern dann ist es auch die deutsche Verantwortung für den Tod unschuldiger Menschen.

Jetzt wissen wir nicht nur, jetzt geben wir zu, dass die Soldaten der Isaf-Schutztruppe oft auf der Sohle des Grabens stehen, dass sie aus diesem Graben heraus steigen wollen, und dass dieser Graben nicht zum Massengrab werden soll, weder für uns noch für die Afghanen. Insoweit war diese Bundestagsdebatte, in der nicht nur die ganz prominenten Abgeordneten sprachen, eine ehrliche, Lager übergreifende Debatte, einschließlich des freilich überzogenen Auftritts der Fraktion Die Linke. Die Mehrheit für das erweitere Mandat ging bis weit in die Opposition hinein. Und auch die Koalitionsfraktionen verlangten eine kontinuierliche Berichterstattung über die Entwicklung in Afghanistan. Das gewährleistet, dass sich das Parlament künftig nicht nur dann mit der Lage dort beschäftigt, wenn wieder mehr Soldaten gefordert werden.

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