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Kommentar: Durch die Hintertür

Angesichts der massiven Unruhen in Kirgistan stellt sich längst nicht mehr die Frage, ob Russland militärisch intervenieren soll. Die Frage lautet vielmehr, wie Moskau eingreifen wird. Im Alleingang oder im Rahmen des Verteidigungsbündnisses der UdSSR-Nachfolgegemeinschaft GUS?

Zwar konnte sich das Gremium auf seiner außerordentlichen Tagung am Montag noch nicht zum Marschbefehl durchringen. Doch dehnbare Formulierungen wie „das gesamte Arsenal der verfügbaren Mittel wird ausgeschöpft“ würden einen Einmarsch decken. Auch Kremlchef Dmitri Medwedew hatte sich eine Hintertür offen gelassen, als er am Samstag die Bitte um Entsendung russischer Friedenstruppen abschmetterte. Derzeit, sagt Medwedews Pressesprecherin, fehlten die Voraussetzungen. Der Akzent liegt auf „derzeit“.

Zwar lehnt die Mehrheit der Russen Auslandseinsätze ab. In Afghanistan, wo Moskau 1979 auf Bitte der Regierung in Kabul einmarschierte, starben tausende Sowjetsoldaten; ebenso beim Krieg in Tschetschenien, das sich zumindest selbst als Ausland betrachtet. Hinzu kommt, dass Präsident und Regierung neue Schäden für das internationale Russlandbild und für die Beziehungen zum Westen fürchten. Europa und den USA ist der Kaukasuskrieg 2008, als Moskau in Georgiens abtrünnige Region Südossetien einmarschierte, noch frisch in Erinnerung. Dort konnte sich Moskau formal immerhin auf den Schutz seiner Bürger berufen: 80 Prozent der Südosseten hatten einen russischen Pass. Anders liegen die Dinge in Kirgistan, das ein souveräner Staat und UN-Mitglied ist.

Eine Alternative gibt es jedoch kaum. Lässt Moskau Kirgistan mit seinen Problemen allein, wäre dies ein Signal an die anderen zentralasiatischen Staatschefs: Ihr könnt bei ähnlichen Problemen nicht mit russischer Hilfe rechnen – seht euch nach anderen Bündnispartnern um. Profitieren würde davon vor allem China, das schon jetzt auf dem besten Wege ist, Moskaus politisches und wirtschaftliches Einflussmonopol in der öl- und gasreichen Region zu brechen.

Für eine Intervention spricht auch, dass der Hilferuf nach Moskau eine Bankrotterklärung der Übergangsregierung ist – militärisch und politisch. Bleibt die Hilfe der Bündnispartner aus, dürfte die ohnehin umstrittene Interimspräsidentin Rosa Otunbajewa das Handtuch werfen. Oder dazu gezwungen werden. Dann aber droht die Zweiteilung des Landes. Womöglich sogar der Zusammenbruch aller staatlichen Strukturen, was eine Kettenreaktion bei den Nachbarn auslösen könnte. Die Ausweitung des Drogenschmuggels wäre eine Folge und das Vordringen islamischer Extremisten, die bei der Bevölkerung immer stärker an Ansehen genießen.

Ausbaden müsste diese Entwicklung neben Russland vor allem Europa. Die sauberste Lösung wären daher GUS-Friedenstruppen mit einem Mandat der Organsiation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Hilfreich wäre dabei, dass das mit Kirgistan eng befreundete Kasachstan derzeit den OSZE-Vorsitz innehat.

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