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Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck.

© ddp

Kommentar: Unaufgeräumtes Denken über die Einheit

Brandenburg will erfreulicherweise künftig die jüngste Zeitgeschichte stärker pflegen. Bis dahin reißt Ministerpräsident Platzeck mit seiner Kritik an der Einigungspolitik unter dem Reizbegriff "Anschlusshaltung" aber nur alte Gräben auf.

Die nächste Wiedervereinigung machen wir besser, lautete ein alter Kalauer aus Wendezeiten. Und bevor sich dafür eine Chance ergibt, bessern wir – so scheint es – erst einmal an der vergangenen Vereinigung herum. Sie hätte anders erfolgen müssen, hat der brandenburgische Ministerpräsident eben in einem „Spiegel“-Interview erklärt: kein Beitritt, sondern gleichberechtigtes Zusammengehen. Als Grund macht er eine westliche „Anschlusshaltung“ aus, die schuld ist an vielen Übeln und Miseren in den neuen Ländern. Weshalb Platzeck im Herbst vor allem zwanzig Jahre Brandenburg feiern will. Schön, dass sein Land dabei – „natürlich“ – die deutsche Einheit nicht vergessen will.

Lassen wir das Zeugnis des Provinzialismus beiseite, das sich Platzeck da durchgehen lässt; jeder blamiert sich so gut wie er kann. Ärgerlicher ist, dass er damit einer Lesart der Vereinigung abermals Nahrung gibt, von der man annahm, dass sie sich im zwanzigsten Jahr der deutschen Einheit erledigt hätte. Dass die Vereinigung sich langsamer hätte vollziehen sollen, von gleich zu gleich, krönende Folge eines demokratischen Selbstverständnisprozesses im eigenen Lande, ist ein alter Traum. Doch es ist nicht einmal ein schöner, denn er ist falsch. Die DDR, ruiniert, wie sie war, fiel der Vereinigung sozusagen entgegen. Die Mehrheit der Menschen spürte das und wollte die Einheit lieber heute als morgen. Die Volkskammerwahlen im März brachten es in aller Klarheit an den Tag: Die CDU-Allianz, die auf die Einheit setzte, bekam (fast) die absolute Mehrheit, Bündnis 90, der beredte Fürsprecher ihrer Verlangsamung, endete bei 2,9 Prozent.

Da Brandenburg erfreulicherweise künftig die jüngste Zeitgeschichte stärker pflegen will, wird diese Erkenntnis irgendwann auch den Ministerpräsidenten erreichen. Bis dahin bleibt seine aktuelle Kritik an der Einigungspolitik unter dem Reizbegriff „Anschlusshaltung“ ein fatales Beispiel unaufgeräumten Denkens. Platzeck klagt, zu Recht, Respekt vor der Leistung der Ostdeutschen ein – und rückt zugleich diejenigen in ein schiefes Licht, die 1989 / 1990 das Schifflein der Vereinigung durch die Brandung eines ungeheuren Zeit- und Problemdrucks ans Ufer steuerten. Übrig bleiben böse Westdeutsche, „verantwortlich für viele gesellschaftliche Verwerfungen bei uns nach 1990“, und über den Tisch gezogene Ostdeutsche. So schürt man Ressentiments und Larmoyanz und schafft es, die Anstrengungen madig zu machen, die vor zwanzig Jahren die Einheit herbeiführten. Eingeschlossen den von ihm abschätzig abgetanen Einigungsvertrag, der dafür die Brücke bildete.

Das ist keine gute Position für Platzecks Absicht, die Risse in der deutschen Gesellschaft zu schließen, zumal in Ostdeutschland, wo er seiner rot-roten Koalition auch diese Aufgabe der Versöhnung zugedacht hat. Denn die deutsche Einheit geht ihre eigenen Wege. Es trifft ja nicht zu, dass – Platzecks einschlägiges Paradebeispiel – die langjährige Brandenburger Ministerin Johanna Wanka gefeiert wurde, als sie in die niedersächsische Landesregierung berufen wurde. Der Jubel galt Aygül Özhan, der ersten Muslima in einem deutschen Kabinett. Der Umstand, dass nach zwei Jahrzehnten Einheit zum ersten Mal eine Ostdeutsche zur westdeutschen Ministerin wurde – den man getrost für ein historisches Datum halten kann –, lief eher nebenbei mit. Ein Zeichen der Normalisierung? Oder schwindenden Interesses? Es wäre gut, wenn das Einheitsjubiläum in vier Wochen eine Antwort darauf gäbe.

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