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Auch die Erforschung von Epo wurde mit staatlichen Mitteln finanziell unterstützt.

© dpa

Kommentar zum Doping in der BRD: Spritzen-Vereinigung

In der alten Bundesrepublik wurde gedopt wie in der DDR. Dopingforschung wurde sogar mit Steuergeldern betrieben. Der Mythos von der moralischen Überlegenheit des Westens ist ins Wanken geraten.

Von Christian Hönicke

Lange durfte sich die Bundesrepublik Deutschland im sportlichen Bruderkampf mit der DDR zumindest als moralischer Sieger fühlen. Mochten die Deutschen aus dem Arbeiter- und Bauernstaat auch meist mehr Medaillen bei Olympischen Spielen abräumen, so konnte man im Westen doch zumindest darauf verweisen, dass die eigenen Athleten ihre Erfolge sauber errangen. Doch die Wirklichkeit sah anders aus – in Sachen Doping stand man sich in Ost und West kaum nach.

Diesen Schluss lässt die Studie „Doping in Deutschland von 1950 bis heute“ zu, aus der die „Süddeutsche Zeitung“ weitere Details zitiert. Spätestens seit Beginn der siebziger Jahre sind Sportler in der alten Bundesrepublik demnach systematisch und organisiert gedopt worden. Die brisanteste Erkenntnis ist, dass in der Bundesrepublik offenbar jahrzehntelang mit Steuergeld Dopingforschung betrieben wurde. Im Zentrum steht dabei das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp), das 1970 gegründet wurde und damals wie heute dem Bundesinnenministerium unterstellt ist.

Laut „SZ“ pumpte das BISp allein zehn Millionen Mark in die sportmedizinischen Standorte Freiburg, Köln und Saarbrücken. Verwendet wurde das Geld demnach für Versuche mit leistungsfördernden Substanzen wie Anabolika, Testosteron, Östrogen oder dem Blutdopingmittel Epo. Auch vor Doping von Minderjährigen schreckte man – wie in der DDR – nicht zurück.

Doch nicht, dass im Westen großflächig gedopt wurde, sondern der Umgang mit der Erkenntnis ist der eigentliche Skandal. Skandalös ist vor allem die Vorgehensweise der politisch Verantwortlichen. Die beteiligten Forscher beklagen sich darüber, dass sie in ihrer Arbeit massiv behindert wurden. Sie gehen davon aus, dass ein Großteil der brisanten Akten vorher vernichtet wurde. Das BISp weigerte sich zudem, die Studie zu veröffentlichen – angeblich aus Datenschutzgründen. Nach Angaben des Innenministeriums ist diese Prüfung nun just gestern abgeschlossen worden, der Veröffentlichung der Studie stehe „insoweit“ nichts mehr im Wege.

Das lange Zögern verstärkt den Eindruck, dass die Politik sich vor die Täter stellt

Das lange Zögern aber verstärkt den Eindruck, dass die Politik sich vor die Täter stellt, von denen einige als Funktionäre, Sportler, Ärzte und Politiker immer noch aktiv sind. Um das eigene Nest nicht zu beschmutzen, hat das BISp die Forschungsfinanzierung für die bisher unerforschte Zeit von 1990 bis heute sicherheitshalber gleich ganz eingestellt. Umso unverständlicher, da bekannt ist, dass die Freiburger Sportmedizin noch in den 2000ern den Treibstoff für den Erfolg des Teams Telekom im Radsport lieferte. Wer mag schon daran glauben, dass dieses Knowhow von heute auf morgen aufgegeben wurde?

So bleibt Doping eines der größten Tabuthemen unserer Gesellschaft. Auch deshalb, weil es das Zeug hat, den Mythos von der moralischen Überlegenheit der Bundesrepublik ins Wanken zu bringen. Während die menschenverachtenden Praktiken in der DDR weitgehend ausgeleuchtet sind, ist der Hang zur Verdunklung im alten Westen noch immer stark. Wer fragt etwa nach der Rolle von Hans-Dietrich Genscher? Er war Anfang der Siebziger Innenminister und oberster Herr des Sports, in seine Ära fielen die Gründung des BISp und die Olympischen Spiele in München. Ein Held der Einheit als Wegbereiter des Dopings? Nein, das darf nicht sein.

Der aktuelle Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat in Bezug auf Doping bisher meist geschwiegen und ließ auch Fragenkataloge zu den neuesten Enthüllungen unbeantwortet. Er steht nun aber in der Verantwortung, die skandalösen Vorgänge in seinem Haus zu erklären und dabei jeden Zweifel darüber auszuräumen, dass tatsächlich so großes Interesse an der Aufarbeitung besteht, wie er es gestern über einen Sprecher mitteilen ließ. Aber auch die Bundeskanzlerin muss sich Fragen gefallen lassen. Bislang hat sich Angela Merkel am liebsten im Glanz der Medaillen und Ballartisten gesonnt, die Nebenwirkungen dieser wahlkampffördernden Inszenierungen aber ignoriert. Zum Doping hat sich die Kanzlerin trotz eines Offenen Briefes des Vereins Doping-Opfer-Hilfe (DOH) noch immer nicht geäußert. Die DOH fühlt sich nicht nur deshalb beim Kampf für einen sauberen Sport von der Politik im Stich gelassen. Auch beim Ringen um ein Anti-Doping-Gesetz wie in anderen Ländern macht Deutschland keine gute Figur.

So lebt das Dopingnetzwerk im Verborgenen weiter, weil der Mentalitätswandel in Ost wie West ausgeblieben ist. Erst wenn sich auch Spitzenpolitiker glaubhaft und unmissverständlich dazu äußern, kann das System des Vertuschens enden. Das Ausleuchten der Schattenseiten, das Aufräumen mit Mythen – das ist ein schmerzhafter Prozess, das wissen die Menschen im Osten genau. Genau diesem schmerzhaften Prozess muss sich nun auch die Bonner Republik stellen.

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