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Kongresszentrum in Berlin: Das ICC darf nicht vergammeln

Nach wie vor fehlt ein Konzept, wie es mit dem leer stehenden ICC-Gebäude weitergehen soll - das sollte die Berliner Öffentlichkeit endlich ernst nehmen. Denn der Bau ist unverzichtbar für unsere Kongressstadt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Die Berliner Politik hat eine fatale Neigung, unüberlegte Hauruck-Entscheidungen als Zeichen entschlossenen Handelns zu deklarieren, oder, das genaue Gegenteil, mangelnde Entschlusskraft als Indiz für sorgfältig abgewogenes Gestalten darzustellen. Für beides gibt es Belege genug. Die vorzeitige Schließung des Flughafens Tempelhof ist ein Musterbeispiel für das Hauruck-Prinzip. In Tempelhof kann man auch sehen, wohin es in einer nicht von einem gewachsenen bürgerschaftlichen Geist geprägten Stadt führt, wenn man große innerstädtische Flächen über Jahre als Brachen hinnimmt – sie werden einer vernünftigen Nutzung auf Dauer entzogen, weil plötzlich das Gesetz der nachbarschaftlichen Okkupation gilt.

Wohin das Nichtstun aus Scheu vor Entscheidungen führt, das dann aber als einfühlsamer Umgang mit den Gegebenheiten gepriesen wird, sieht man am Schicksal der Flüchtlinge vom Oranienplatz. Und wie Aktionismus ohne Ziel aussieht, zeigt die Suche nach einem Platz für die Landesbibliothek. Die sollte erst im Rahmen der geplanten Wohnbebauung auf dem Tempelhofer Feld dem Stimmbürger geradezu untergejubelt werden und die kann sich nun mancher auch im ICC vorstellen.

Dem Gebäude droht ein schlimmes Schicksal

Damit sind wir bei einem Thema, das die Berliner Öffentlichkeit viel ernster nehmen sollte, als es im Moment geschieht. Was nämlich Tempelhof als Planungsversagen im Großen ist, könnte der künftige Umgang mit dem ICC im Kleineren, aber absolut nicht Unwichtigen werden. Wenn der Senat nicht schnell entscheidet, wie es mit diesem Kongresszentrum aus dem Jahre 1979 weitergeht, blüht dem gewaltigen Bau der Architekten Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte ein schlimmes Schicksal. Auch ein solches Bauwerk kann nämlich ziemlich schnell verrotten, wenn man es sich selbst überlässt. Oder ist es vielleicht das, was einige unverantwortliche Politiker vielleicht letztlich wollen – den immer noch weltweit begehrten Kongressplatz abrissreif machen wie den Palast der Republik? Da sollte die Berliner Öffentlichkeit auf die Barrikaden gehen.

Die Messegesellschaft wollte das ICC gerne loswerden. Es produziere ein jährliches Defizit von zwölf Millionen Euro, weil es nicht mehr zeitgemäß sei: zu viele breite Gänge, zu wenig Ausstellungsfläche. Die Messe ist mit dem City Cube ganz glücklich, der den Platz der Deutschlandhalle eingenommen hat. Der ist allerdings für das Kongressgeschäft kaum zu nutzen, weil eben durch die Messe oft belegt – und der Messe sind Kongresse eher egal.

Schon jetzt wurden wohl schon mehr als 30 Kongresse abgesagt

Im Kongressgeschäft aber fehlt das ICC bereits jetzt. Eine Untersuchung der Marktforscher von TNS Infratest in München ergab, dass für den Zeitraum bis 2018 mehr als 30 Kongresse mit jeweils mehr als 2000 Teilnehmern abgesagt werden mussten, weil das ICC nicht zur Verfügung steht. Die Messegesellschaft bestreitet das, aber das hat nichts zu sagen, denn mit Kongressen beschäftigt sie sich eben nur am Rande. Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU), die für beides zuständig ist, sagt, es sei nicht unbedingt eine öffentliche Aufgabe, zusätzlichen Platz für den boomenden Kongressstandort Berlin zu schaffen.

Dem könnte man, wohlwollend, beipflichten, zumal aus privater Initiative beim Estrel-Hotel in Neukölln ein zusätzliches Messecenter entsteht. Aber weiß denn die Senatorin nicht, die doch im Umgang mit der Industrie durchaus erfahren ist, dass es internationale Tagungen gibt, die den repräsentativen Rahmen des ICC hoch schätzen? Steht ihr bei ihrer Entscheidungsfähigkeit vielleicht im Wege, dass eine im Auftrag ihres Hauses erstellte Expertise zu dem Schluss kommt, dass nur bei einer Nutzung als Einkaufscenter eine wirtschaftliche Nutzung des ICC möglich sei?

Müller und Geisel sollten sich gegen Yzer durchsetzen

Die Wahnsinnsidee einer weiteren Shoppingmall in Berlin, es wäre ungefähr die 61ste, ist eigentlich vom Tisch. Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) hat gerade in schnörkelloser Klarheit festgestellt, er fände das „doof“. Auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller hat eher für die weitere Nutzung des ICC als Kongress- und Messestandort Sympathien. Beide sollten sich gegen Yzer durchsetzen. Das ICC braucht keine Totalsanierung, sondern vor allem neue Wasser- und Elektroinstallationen. Beides ließe sich auch im Rahmen des Denkmalschutzes realisieren, der das ICC hoffentlich davor bewahrt, einem Zeitgeist geopfert zu werden, der Abriss vor Erhaltung setzt. So etwas hatten wir schon einmal im Städtebau der frühen 60er Jahre des letzten Jahrhunderts, gerade auch in Berlin. Darunter leiden wir noch heute.

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