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Meinung: Konjunktur und Arbeitsmarkt: Sicherheit schreibt der Kanzler jetzt groß - zu groß

Spät räumt der Kanzler es ein, doch er tut es. Die deutsche Wirtschaft wächst in diesem Jahr deutlich weniger als von ihm prognostiziert.

Spät räumt der Kanzler es ein, doch er tut es. Die deutsche Wirtschaft wächst in diesem Jahr deutlich weniger als von ihm prognostiziert. Von 1,5 bis zwei Prozent Wachstum spricht Gerhard Schröder nur noch. Die Arbeitslosigkeit steigt wieder. Selbst der Kanzler erwartet nicht mehr, sein Ziel zu erreichen und die Zahl der Arbeitslosen bis 2002 auf unter 3,5 Millionen zu drücken. Wegen der lahmenden Konjunktur drohen in diesem August wieder mehr Menschen ohne Arbeit zu sein als im August vor einem Jahr.

Was tun? Der Bundeskanzler bleibt dabei, er wolle weder seine Finanz- noch die Arbeitsmarktpolitik ändern. Mit "ruhiger Hand" möchte er den Abschwung überstehen. Seine Möglichkeiten sind ja auch begrenzt. Was kein Argument ist, nichts zu tun. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Deutschland hätte den weltweiten Abschwung besser verkraftet, wenn es die fehlenden Reformen angepackt hätte. Der Abschwung in den USA schlägt auf Deutschland stärker durch, als die Bundesregierung annahm. Das liegt auch daran, dass Rot-Grün die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zu spät und zu halbherzig angepackt hat. Jetzt werden die Rufe nach Reformen oder Konjunkturprogrammen lauter. Der Skandal ist aber nicht, dass in der Konjunkturdelle die Arbeitslosigkeit steigt. Der eigentliche Skandal ist die hohe Sockelarbeitslosigkeit, die auch im Aufschwung hoch blieb und an die sich Öffentlichkeit und Politik offenbar gewöhnt haben.

Wer sich in dieser Situation von raschen Reformen Wunder verspricht, weckt Erwartungen, die sich nicht erfüllen lassen. Die Zahl der Arbeitslosen kann erst dann spürbar sinken, wenn die Konjunktur wieder anspringt. Nächstes Jahr wird die Flaute überwunden sein. Deshalb müssen die überfälligen Reformen am Arbeitsmarkt jetzt auf den Weg gebracht werden - damit sie dann wirken können.

Die Bundesregierung will ein Job-Aktiv-Gesetz in diesem Herbst in den Bundestag bringen: als einen ersten Schritt. Der hätte mutiger ausfallen dürfen. Wichtige Fragen wie die Lohnsubvention schlecht bezahlter Jobs oder die Verzahnung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe dürfen nicht weiter auf die lange Bank geschoben werden. Auch den Bürgern mit geringer Qualifizierung sollte ein Weg in einen neuen Job aufgezeigt werden. Deutschland wäre heute wohl nicht das Schlusslicht in der Europäischen Union beim Wirtschaftswachstum, wenn die Regierung den Reformstau auf dem Arbeitsmarkt ebenso schnell und energisch aufgelöst hätte wie im vergangenen Jahr den in der Steuerpolitik.

Doch will Schröder das überhaupt? Er hat als Modernisierer angefangen - und wird nun zum Bremser mit der ruhigen Hand. Ein Jahr vor der Bundestagswahl möchte sich der Kanzler nicht mit den Gewerkschaften anlegen. "Sicherheit im Wandel" heißt das Motto für den nächsten SPD-Parteitag im November in Nürnberg. Die Sicherheit schreibt der SPD-Vorsitzende Schröder jetzt groß. Deswegen möchte er auch vom Sparkurs nicht lassen, einem Markenzeichen seiner Regierung aus den guten Jahren. Doch der Druck auf Finanzminister Hans Eichel steigt. Und wird weiter steigen, wenn die Steuerschätzung im Herbst neue Milliardenlöcher im Haushalt reißt.

Die Investitionen des Bundes darf Eichel nicht noch weiter zurückfahren. Die lahmende Konjunktur erlaubt es durchaus, die Neuverschuldung kurzfristig zu erhöhen. Der Kanzler und sein Sparminister werden das am Ende tun. Sinnvoll ist eine befristete höhere Verschuldung nur unter einer Bedingung: Wenn die Wirtschaft wieder läuft, muss umso energischer gespart werden. Nur so lässt sich das Ziel erreichen, spätestens 2006 ganz ohne neue Schulden auszukommen.

Carsten Germis

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