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KONTRA Punkt: Gast, Freund, Schuft

Berlin – eine Stadt wehrt sich gegen ihre Besucher.

Die Welt zu Gast bei Freunden – so lautete das Motto der Fußball-Weltmeisterschaft 2006, und seitdem kommen sie, die Freunde, am liebsten nach Berlin. Fast zehn Millionen Touristen zählte die Stadt im vergangenen Jahr, und es sollen noch mehr werden, das kündigt jedenfalls freudig erregt der Senat an.

Aber viele Berliner reagieren zunehmend gereizt. Denn Touristen sind, wie alle Menschen, durchaus verschieden. Und bei manchen wünscht man sich doch sehr, dass sie die Stadt anmutig genießen, ihre Rollkoffer flüsternd tragen und früh im Hotelbett verschwinden. Das gilt vor allem für jene, die mit dem Billigflieger angejettet kommen, ihr bisschen Geld für ein paar Bier und zwei Quadratmeter in einem Hostel ausgeben – oder in einer Ferienwohnung. Etwa 15 000 solcher Wohnungen soll es geben in Berlin, und in den Häusern, wo sie angeboten werden, geht es meist lauter, jedenfalls unruhiger und rücksichtsloser zu als, ja: als gewohnt.

Die ersten Bewohner haben damit begonnen, wegen des Touristenlärms von nebenan die Miete zu kürzen – zu Recht, wie der Bundesgerichtshof jetzt festgestellt hat. Und auch anderswo regt sich Widerstand: Bereits im vergangenen Jahr hatte das Bezirksamt Mitte einem Eigentümer untersagt, einen Teil seiner Wohnungen an Touristen zu vermieten. Und die Kreuzberger Grünen riefen in den beginnenden Wahlkampf hinein: „Hilfe, die Touris kommen!“

Die Hauseigentümer sehen das gelassener und wehren sich mit Hilfe der CDU gegen ein Zweckentfremdungsverbot, wie es die SPD durchsetzen will. Ihre Haltung ähnelt in ihrer zur Schau gestellten Unschuld der des ehemaligen Bundespräsidenten Wulff: Sie möchten nicht in einer Welt leben, in der man seine Wohnung nicht an Freunde vermieten darf. Und in ihrer Geschäftstüchtigkeit wollen sie sich nichts vormachen lassen von der öffentlich-rechtlichen Freundschaftswohnungsberaterin Christian Wulffs, der Journalistin Bettina Schausten: 150 Euro sollten schon drin sein, auch und gerade unter Freunden.

Aber wer in einem Haus wohnt, durch das ständig angeheiterte Freunde aus aller Welt toben, wer die Linien und Landezeiten der Billigflieger anhand der verschiedenen Fremdsprachen vor der eigenen Wohnungstür erkennt, wer die Rücksichtslosigkeiten der Ultrakurzbesucher im Flur erlebt, wenn sich das dreckige Dutzend in die Einzimmerwohnung nebenan quetscht, ja, und wer sich über all das beklagt, der muss sich nicht über mangelnde Toleranz belehren lassen. Selbst der Bundesgerichtshof hat ja Touristenlärm als möglichen Mangel erkannt.

Aber eben nur den Lärm, nicht den Touristen an sich. Die bloße Vermietung von Wohnungen an Touristen alleine rechtfertige eine Mietminderung nicht, sagt der BGH. Denn es ist ja auch völlig egal, ob der Lärm von besoffenen Clubbesuchern aus Madrid kommt oder von einer Rentnergruppe aus Recklinghausen – oder von Opa Kasupke mit seiner in Schreitherapie befindlichen Familie, die hier seit vierzig Jahren von der fachgerechten Entleerung wertvoller Pfandflaschen lebt.

Wer in einer Großstadt wohnt, zumal im Zentrum, muss mit Beeinträchtigungen und, besonders in Berlin, auch mit Veränderungen rechnen. Aber aus halben Häusern wilde Hotels für Billigtouristen zu machen, liegt nicht im Interesse einer Stadt, die zu wenig Einnahmen hat und zu wenig Wohnraum. Das sollte dann auch in der Politik zum Ausdruck kommen. Für alles andere – den Lärm, den Schmutz, die Verwahrlosung – gibt es schon Regeln und Gesetze genug. Die gelten sogar für Freunde. Dass sich kaum jemand darum kümmert, das scheint das einzige zu sein, was sich niemals ändert in dieser Stadt.

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