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KONTRA Punkt: Wem nützen die Piraten?

Von einem freien Netz profitieren mächtige Unternehmen.

Werte sind etwas Schönes. Sie zeugen von Unbestechlichkeit, einer Haltung, einem Charakter. Aber Werte lassen sich auch propagandistisch missbrauchen. Sehr leicht sogar. Deshalb tut man gut daran, wann immer große Reden geschwungen werden, sich die Fragen zu stellen: Wem nützt es? Wessen Lied wird da gesungen?

In der vergangenen Woche ging es im Internet zu wie auf einem virtuellen Schlachtfeld. Aus Protest gegen zwei amerikanische Gesetzesinitiativen, die im Kampf für den Schutz des geistigen Eigentums und gegen illegale Raubkopien drastische Maßnahmen vorsehen (Sopa und Pipa), ging die Online-Enzyklopädie Wikipedia einen Tag lang offline, andere Websites beteiligten sich. Einen Tag später wurde mit „Megaupload“ eine der weltweit größten Tauschbörsen (Filehoster) von der US-Justiz abgeschaltet. Dem Unternehmen werden massive Verstöße gegen das Urheberrecht vorgeworfen.

Das wiederum erzürnte einen Teil der Netzaktivisten – allen voran die Guerilla-Truppe Anonymous – dermaßen, dass sie durch Hackerattacken nicht nur die Onlineauftritte des US-Justizministeriums lahmlegten, sondern auch die von prominenten Vertretern der US-Unterhaltungsindustrie. Man kann davon ausgehen, dass das Kräftemessen zwischen den Piraten und den Copyright-Verteidigern an Intensität und Brutalität noch zunehmen wird.

Denn es geht um Gewinne und Profite, um Millionen und Milliarden. Und weil beide Seiten auf Sieg setzen, haben sie den Nutzen der Moral für sich erkannt. In Demokratien gewinnt nämlich der, der die Macht über den öffentlichen Diskurs erringt. Fürs Geld fremder Leute streitet keiner, für ein höheres Ziel indes jeder gern. Und so kam es zum Bündnis aus neuer digitaler Industrie (Google, Yahoo!, Youtube, Facebook, Twitter, eBay, Mozilla Corporation, Roblox, Reddit) und jenen Netzaktivisten, die sich unter dem Label „Piraten“ inzwischen auch politisch organisiert haben. In ihrem etwas naiven Selbstverständnis setzen sie sich für ein offenes Netz ein, für Transparenz, Meinungsfreiheit, Bürgerrechte, Datenschutz, gegen Zensur und die „kulturelle Verwertungsindustrie“. Dass sie damit genau jenen Kräften in die Hände arbeiten, die von einer Aufweichung geistiger Eigentumsrechte massiv profitieren – abgesehen von Suchmaschinen und sozialen Netzwerken sind das vor allem auch Tauschbörsen wie „Megaupload“, „Rapidshare“ oder „Mediafire“ –, scheint sie nicht sonderlich zu stören.

Dabei dreht sich die Auseinandersetzung nicht allein, wie von interessierter Seite suggeriert, um Freiheit contra Zensur, Datenschutz contra Überwachung, Transparenz contra Geheimhaltung, sondern um handfeste wirtschaftliche Interessen. Auf der einen Seite steht die traditionelle Unterhaltungsindustrie (Musik, Filme, Bücher), die sich auf Copyright und „geistiges Eigentum“ beruft und in den USA besonders stark vertreten ist (in der Musik- und Filmbranche ist das Land weiterhin weltweit führend, ebenso wie bei der Zahl der Patente), auf der anderen Seite stehen jene Hightech-Multis, die es frühzeitig verstanden haben, die neuen Internetgewohnheiten (von der Kommunikation bis zum Raubkopieren) zu kapitalisieren.

Man sehe sich nur die Verlustzahlen der einen und die Profitzahlen der anderen Seite an, um die Härte der Auseinandersetzung zu verstehen. Google hatte 2010 einen Umsatz von 29,3 Milliarden US-Dollar und ist heute, nach Apple, die zweitteuerste Marke der Welt. Facebook hatte 2010 Jahreseinnahmen von zwei Milliarden US-Dollar. Und man stelle sich den händereibenden „Megaupload“-Gründer Kim Dotcom, alias Kim Schmitz, in seiner 30-Millionen-Villa in der Nähe von Auckland vor, wie er sich vor seiner Verhaftung schlappgelacht hat über die ideologische Unterstützung seiner Tätigkeiten durch freiheitsliebende Internetaktivisten, für die „geistiges Eigentum“ lediglich ein „Kampfbegriff der Verwertungsindustrie“ ist.

Die große Rede hören wir wohl, allein die Frage lautet: Wessen Lied wird da gesungen?

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