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Meinung: Kontra Purpur

Von Claudia Keller

An ihren blauen Halstüchern konnte man die Christen in den UBahnen und Eiscafés Hannovers leicht erkennen. Blau, die Farbe der Treue und der Beständigkeit, steht nach den vergangenen vier Tagen für ein neues Selbstbewusstsein der evangelischen Kirche – auch und gerade als Kontrapunkt zum römischen Purpur. Eine demokratisch aufgebaute Kirche, die das Priestertum aller ernst nimmt, brauche sich nicht zu verstecken, sagte der EKD-Ratsvorsitzende Bischof Wolfgang Huber. Was sich die katholische Kirche entgehen lässt, indem sie auf Frauen an der Spitze verzichtet, zeigte die enorme Anziehungskraft der niedersächsischen Landesbischöfin Margot Käßmann. Allein zu ihrer Bibelarbeit kamen 6000.

Auch will sich die evangelische Kirche nicht länger als neuzeitliche Abspaltung der einen römischen Kirche abwerten lassen. Man habe Anteil an der gesamten Geschichte der Christenheit und schöpfe genauso aus dem gemeinsamen Erbe. Tatsächlich kann man den Protestanten, die sich in Hannover versammelten, nicht mehr so einfach vorwerfen, sie seien vertrocknete Bibelausleger und verkopfte Gutmenschen. Workshops zur liturgischen Inszenierung waren genauso gefragt wie Meditationen, Pilgerwege, Fußwaschungs- und Salbungsrituale. Auch wenn dabei nicht jede Erfahrung von Transzendenz etwas mit religiöser Erweckung zu tun hat, so suchen doch viele mehr als Wellness für die Seele.

Eines der erstaunlichsten Zeichen für das neue Selbstbewusstsein aber ist die Tatsache, dass dieser Kirchentag unter einer Glocke selten erlebter Harmonie ablief. Kaum ein Wort über die finanziellen Probleme der Kirchen, keine selbstzerfleischenden Auseinandersetzungen zwischen Konservativen und Liberalen. Parolen wie „Gott wäre aus der Kirche ausgetreten, weil sie lügt“ kamen nicht gut an. Wenn Einzelne kirchenkritische Banner entrollten, brachten andere sie wieder zum Einrollen mit der Frage, was solches Gemaule bringe, es sei doch nur destruktiv.

Dass das Selbstbewusstsein erwidert wird, bewiesen die Politiker. Sie nahmen den Kirchentag ernst und verliehen dem Treffen politische Brisanz – ohne ihn zur Wahlkampftribüne zu degradieren. Schauen wir mal, was von den Beschwörungen und dem Selbstbewusstsein im Alltag übrig bleibt. Schauen wir mal, ob die Kirchen nächsten Sonntag voller sind.

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