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Unerbittlich stehen sich die Befürworter ("pro choice") und Gegner ("pro life") der Abtreibung in den USA gegenüber. Im Bundesstaat Mississippi wird am Dienstag über ein verschärftes Abtreibungsverbot abgestimmt.

© AFP

Kontrapunkt: Abtreibungsverbot: Wo sich Linke und Rechte einig sind

Im US-Bundesstaat Mississippi wird morgen über ein radikales Abtreibungsverbot abgestimmt. Malte Lehming ist überzeugt, dass sich einige deutsche Linke wohl dafür aussprechen würden.

Aus deutscher Perspektive ist der US-Bundesstaat Mississippi ziemlich weit weg. Geographisch wie kulturell. Dort ist man konservativ, religiös, exotisch. Darum interessiert es hier nur wenige, dass in Mississippi am morgigen Dienstag eine Volksentscheidung stattfindet. Es geht um eine Verfassungsänderung, die höchstwahrscheinlich Erfolg haben wird. Der neue Zusatz zur Verfassung – „Amendment 26“ heißt das Begehren -, über den abgestimmt wird, definiert präzise, was eine menschliche Person ist. Nämlich „jeder Mensch vom Augenblick der Befruchtung an, des Klonens oder dessen funktionaler Entsprechung“. 

Da jedem menschlichen Wesen das unbedingte Recht auf Schutz seines Lebens zusteht, dürften künftig in Mississippi auch Embryonen und Föten diesen vollen Rechtsschutz genießen. Das heißt, die embryonale Stammzellforschung wird verboten, das Klonen ohnehin, die Pille danach wie auch Abtreibungen (obwohl Abtreibungen laut US-Bundesrecht seit 1973 – "Roe vs. Wade" – legal sind). Kein Wunder, dass hinter der Initiative „Yes on 26“ überwiegend christlich konservative bis reaktionäre Organisationen stehen. Sie wollen das US-Recht auf biblische Grundlagen stellen, gewissermaßen eine Scharia-light-Version auf christlich einführen.

Liberale Verbände und Bürgerrechtsorganisationen in den USA laufen daher Sturm gegen „Amendment 26“. Sie befürchten, dass künftig in Mississippi auch Frauen, die während der Schwangerschaft rauchen, Alkohol trinken oder Drogen nehmen, wegen vorsätzlicher Körperverletzung bestraft werden. Der Initiative zufolge soll die Polizei sogar bei bestimmten Fehlgeburten ermitteln können, um eine mögliche Schuld der Frau festzustellen. In den Bundesstaaten Florida, Montana, Oregon und Ohio sind ähnliche Volksentscheide in Vorbereitung. 

Nun sollte man annehmen, dass liberale Organisationen und fortschrittliche Parteien in Deutschland sich über so viel moralischen Rigorismus kräftig empören. Tun sie aber nicht. Denn ob absichtlich oder unabsichtlich befördern sie einen solchen Rigorismus. Um es platt zu sagen: Deutsche Linke (jedenfalls Teile davon) und Amerikas Rechte haben bei der Menschwerdungsdefinition ein geistiges Bündnis geschlossen. Sie teilen das ethische Dogma von der vollen Schutzwürdigkeit des menschlichen Lebens vom Zeitpunkt der Verschmelzung von Ei und Samen an. Sie lehnen strikt Konzepte einer gestaffelten Schutzwürdigkeit des Menschen ab (das befruchtete Ei in der Petrischale ist für sie nicht anders Mensch als der soeben geborene Säugling). Zwei Beispiele aus jüngster Zeit: 

In der Drucksache 17/5450 des Deutschen Bundestages („Entwurf eines Gesetzes zum Verbot der "Präimplantationsdiagnostik") hat die Gruppe um Katrin Göring-Eckardt (Grüne), Andrea Nahles (SPD), Wolfgang Neskovic und Klaus Ernst (beide Linkspartei) sowie diversen Unionisten folgende Definition vorgeschlagen: „…ist Embryo bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner jede bei einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag“. 

Ähnlich hat die Umweltschutzorganisation „Greenpeace“ als Klägerpartei im Prozess vor dem Europäischen Gerichtshof um die Patentierbarkeit embryonaler Stammzellen argumentiert. Greenpeace zufolge sollen nicht nur Eizellen vom Moment ihrer Befruchtung an als menschliche Embryonen gewertet werden, sondern auch unbefruchtete Eizellen, denen ein Zellkern eingepflanzt wurde oder die anders zur Teilung und Weiterentwicklung angeregt wurden. Der Jubel der katholischen Kirche war entsprechend laut. Und wahrscheinlich, um dem Papst ein ökumenisches Gastgeschenk zu machen, stimmte die Evangelische Kirche mit ein. „Es gibt nur einen, der ein Patent auf menschliches Leben hat“, sagte Nikolaus Schneider, der Ratsvorsitzende der EKD, „das ist Gott.“ 

Mississippi ist also überall - bei den Katholiken ohnehin, aber inzwischen auch bei deutschen Protestanten, den Grünen, der Linkspartei, Greenpeace.

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