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Kontrapunkt: Avus, wie haste Dir verändert

Gefühlte 80 Baustellen verfolgen einen persönlich auf dem Weg durch Berlin. Eine ist auf der Avus. Die alte Rennstrecke ist heute endgültig Tempo-Null-Zone. Bei der kommenden Wahl könnte man doch auch mal darüber abstimmen, wer Verkehrssenator werden soll.

Avus, wie haste Dir verändert. Von wegen schnelle Straße, Rudolf Caracciola und wie sie alle hießen, die da lang rasten. Im Jahr 1926 gewann besagter Caracciola auf einem Mercedes überraschend unter widrigen Wetterbedingungen den ersten Großen Preis auf der Avus. Großer Preis, mit schnellen Wagen!

Caracciola ist auch der, der auf der Autobahn über eine Distanz von einem Kilometer mit fliegendem Start 432,7 km/h als Durchschnitt von Hin- und Rückfahrt die höchste Geschwindigkeit gefahren ist, die es bis heute jemals auf einer öffentlichen Straße gegeben hat. Na ja, nicht auf der Avus.

Ist ohnehin alles vorbei, Geschichte. Und freie Fahrt für freie Bürger? Auch. Das war mal, 1974, als der ADAC gegen vier Monate Großversuch auf Bundesautobahnen Stimmung machte. Erfolg war: eine Austrittswelle beim ADAC, aber statt eines generellen Tempolimits von 100 eine unverbindliche Richtgeschwindigkeit von 130.

130! 100! Auf der Avus-Tribüne könnte man heute Schneckenrennen beobachten. Heute ist nämlich sowieso Stop and Go, kurz Gas und dann ruff uff die Bremse, weil 80 längst keiner mehr fahren kann, 20 wären schon gut. Obwohl, heute auch das nicht mehr. Heute ist endgültig Tempo- Null-Zone.

Alles kaputt, und dann noch das Wasser in rauen Mengen, da bleibt beim Berliner kein Auge mehr trocken. Umwege fahren heißt es, weil die Avus ganz zu ist. Rückstauungen in Wohngebiete, Umleitungen ins Uwe-Lehmann-Brauns- Land, dessen Plakate entlang der Clayallee sagen: Der Stadt dienen. Die kann man jetzt übrigens unfallfrei lesen, weil keiner vorankommt. Das mit dem Dienen sollten sich die Verantwortlichen mal hinter die Ohren schreiben. Bei der kommenden Wahl könnte man doch auch mal darüber abstimmen: Wer soll Verkehrssenator werden? Im Moment haben wir ja keinen. Nein, ist ein Witz, schon klar, wir haben eine Senatorin, aber im Ernst, es ist eine Stausenatorin. Gefühlte 80 Baustellen begleiten einen persönlich auf dem Weg durch Berlin, ach was, verfolgen einen.

In Mitte! In Gatow! In Friedrichshain! In, in in – jeder kennt doch die Beispiele: Du fährst daran vorbei, an den Plastikhütchen, fragst dich, warum die hier stehen, da steht doch keiner sonst. Außer Hütchen. Oder die Straße ist aufgerissen, und über Wochen ändert sich das irgendwie nicht, es sieht immer gleich aus, verlassen, traurig. Und wenn die Baustelle plötzlich wieder geschlossen ist, dann rumpelt’s auf der Straße, dass man sich an ein Entwicklungsland erinnert fühlt. An der nächsten Ecke geht es wieder von vorne los. Monatelang. Jahrelang. Ach, wer da jetzt Tempo 30 in der Stadt fordert – Wahnsinn. So schnell.

Man stelle sich vor: Chats im Internet über „meine Lieblingsbaustelle“. Vereine, die sich gründen, Baustellenliebhabervereine, mit Baustellenpartnerschaften, das wär' noch eine Geschäftsidee für den Wirtschaftssenator. Und Selbsthilfegruppen im Wortsinn. Alles und alle dienen der Stadt. Einen Regierenden brauchen wir dann auch nicht mehr. Die Baustelle schließen wir.

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