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Schulpaket und Mittagessen wird bereits bezahlt.

© dapd

Kontrapunkt: Bildungsferne Schichten? Bildungsferne Republik!

Das Kabinett hat neue Hartz-IV-Regelungen beschlossen und zelebriert sie als großen Schritt. Bildungspakete, die überwiegend Leistungen enthalten, die es entweder schon gibt oder nicht geben wird, sind jedoch nur Trostpflaster und Selbstbetrug.

Das Kabinett hat heute, wie es so treffend in einer Meldung heißt, die neuen Hartz-IV-Regelungen durchgewinkt. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen hat die Gelegenheit zu weiteren Ankündigungen genutzt. Auch Familien mit Einkommen knapp über Hartz IV sollen in den Genuss des Bildungspaketes für die zwei Millionen Kinder und Jugendliche kommen, die von Hartz IV leben. Die Regelsätze für Kinder bleiben bekanntlich (und nun durch laut Kabinettsbeschluss abgesegnet) auf dem bisherigen Stand. Nur zur Erinnerung: Die gleiche Bundesregierung hat in diesem Jahr das Gießkannenprinzip direkter Familienleistungen, das sie bei Hartz-IV-Familien als unsinnig ablehnt, für alle anderen angewandt und das Kindergeld um 20 Euro erhöht. 

Der Nachteil des einen wie des anderen Bildungspakets: Welches  Mädchen, welcher Junge  wann und auf welchem Weg auf welche zusätzliche Leistung zählen kann, bleibt im Dunkeln. Fest steht erstens nur, dass die Kindersätze um null Komma null Euro erhöht werden. Zweitens, dass statt der vom Verfassungsgericht geforderten Neuregelung der Leistungen für Kinder zum 1. Januar 2011 ein großes bürokratisches Durcheinander stattfinden wird. Gemildert wird es nur dadurch, dass viele dieser Kinder Mittagessen, Nachhilfe und kostenlose Vereinsmitgliedschaften, die von der Leyen mit ihrem Bildungspaket suggestiv als neu verkauft, als kommunale oder zivilgesellschaftliche Leistungen schon erhalten. Gottlob!

Bei der Ankündigung des Bildungspaketes auch für Geringverdiener-Familien geht es denn auch nur zum geringeren Teil um deren Kinder. Leyens Versprechen ist Teil des Spiels um die politische Verantwortung. Oder besser: um den schwarzen Peter, den sie der Opposition zuschieben will. Denn im Bundesrat hat die schwarz-gelbe Koalition keine Mehrheit und ist auf Kompromisse angewiesen. Der Subtext der Arbeitsministerin lautet: Will die SPD etwa das warme Mittagessen für die armen und nicht ganz so armen Kinder verhindern?

Der größte Trumpf in diesem Spiel ist ein öffentliches Pauschalurteil. Wer mit seinen Kindern von Hartz IV lebt, wird den bildungsfernen Schichten zugeschlagen, denen man unterstellt, zusätzliche Mittel für ihre Kinder eher für Alkohol und Zigaretten als für ein neues Paar Kindersportschuhe auszugeben. Solche Eltern gibt es. Und es gibt die Mütter und Väter, die für ein Paar Kinderschuhe und die Ausbildung ihrer Kinder auf alles zu verzichten bereit sind. Das (vermeintliche) Pauschalwissen über die Hartz-IV-Empfänger ist eine Schutzbehauptung gegen die Trägheit, mit der wir uns immer wieder gegen die Wahrheit abschotten, dass unsere Zukunft auch auf diese zwei Millionen Heranwachsende angewiesen ist. Bildungspakete, die überwiegend Leistungen enthalten, die es entweder schon gibt (weil Schulpaket und Mittagessen schon bezahlt werden) oder nicht geben wird (weil viel Kinder Schulen ohne Mittagsessen besuchen), sind Trostpflaster und Selbstbetrug. Trostpflaster für die betroffenen Kinder. Selbstbetrug für diejenigen, die meinen, mit der öffentlichen Finanzierung eines privaten Nachhilfemarktes oder kostenlosen Musikschulgutscheinen für arme Kinder das Dilemma eines reichen Landes bearbeiten zu können, das es nicht schafft, die eigenen Potentiale zu nutzen und zu entwickeln. Selbst in Pisa-Vorzeigebundesländern liegen die Schulabbrecherquoten bei zehn Prozent. Jeder Cent von rund 700 Millionen Euro, der für das Bildungspaket vorgesehen ist, wäre besser angelegt in einer öffentlichen Infrastruktur, in Kindergärten und Schulen mit Musik- und Sportunterricht, einem vernünftigen Mittagessen und individuellen Nachhilfen.

Das sind lösbare Aufgaben für die Politik. Nicht Brüsseler Regulierungsvorschriften oder Globalisierungsdruck stehen ihnen im Weg. Von der Leyens Bildungspaket ist nur ein weiterer der ungezählten Versuche, das eigentliche Defizit zu übertönen. Was fehlt, ist der politische Wille, sich zu einem nationalen Kraftakt zu entschließen und die Probleme, nicht das Eigeninteresse der politischen Ebenen in Bund, Ländern und Kommunen in den Mittelpunkt zu stellen. So landet sie immer wieder nur in neuen Sonntagsreden, unsere bildungsferne Republik.      

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