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Audi und Ai Weiwei: Beides haben zu wollen, ist verlogen.

© AFP

Kontrapunkt: Deutschland lebt in der Lüge

Deutschland lebt von wirtschaftlichen Voraussetzungen, die es selbst nicht mehr zu schaffen bereit ist. Wer in China Audis verkaufen will, braucht deshalb zu Ai Weiwei nicht viel zu sagen, meint Moritz Schuller im aktuellen Kontrapunkt.

Audi hat im vergangenen Jahr 228.000 Autos in China verkauft und einen neuen Absatzrekord aufgestellt. Um diese Nachfrage zu decken, stellt das Unternehmen in diesem Jahr allein in Ingolstadt und Neckarsulm 1400 neue Mitarbeiter und 700 Auszubildende ein. 700 deutsche 16-Jährige, die Peter oder Claudia heißen, die sich mit ihrem Lehrgehalt einen Sony-Fernseher kaufen, mit Tui in den Urlaub fliegen und sich jeden Morgen beim Heiglbeck in der Theresienstraße die Brezn kaufen.

Der Wahlsieg der Grünen, und die eindrucksvollen Umfragewerte von derzeit 28 Prozent, sind Ausdruck einer weit verbreiteten Wachstumsskepsis. Die Finanzkrise hat, ähnlich wie einst der Bericht des "Club of Rome", dem wachstumskritischen Denken in Deutschland einen Schub gegeben. Auch den Preis dafür, billigen Atomstrom durch teuren Ökostrom zu ersetzen, ist das Land wegen der Ereignisse in Japan offenbar bereit zu zahlen. Deutschland sieht sein Heil längst im Weniger, denn im Mehr, in der Ideologie der Selbstbegrenzung. Das bedeutet aber auch die Selbstbegrenzung des Staates: Was er nicht mehr hat, kann er auch nicht verteilen – und das wird vor allem die Schwachen des Landes treffen und ihre Aufstiegschancen verringern.

Es sei Aufgabe der Politik, schreibt Kurt Biedenkopf in seinem neuen Buch ("Wir haben die Wahl", Propyläen Verlag) "die Menschen auf eine Zeit vorzubereiten, in der nicht materieller Zuwachs, sondern der Zuwachs an Intelligenz, an intelligenter Gestaltung unseres Zusammenlebens und aller Bereiche unseres Gemeinwesens, über Wohlstand, Sicherheit und Zukunft entscheidet." Vermutlich ist ein grüner Bundeskanzler besser als andere geeignet, den Menschen zu erklären, warum sie sich den flachsten Flachbildschirm nicht mehr leisten können, warum ihnen die modernste medizinische Versorgung verwehrt bleibt.

Selbstbegrenzung heißt auch außenpolitische Selbstbeschränkung. Noch leben in Deutschland Menschen davon, dass in China andere Menschen Autos kaufen. Soll Audi seine Lieferungen nach China einstellen, weil das Land den Künstler Ai Weiwei ins Gefängnis steckt? Wie viel ist dem Bäcker in der Ingolstädter Innenstadt eine solche menschrechtspolitische Geste wert? Dass sich in Deutschland alle einig sind, die Atomkraftwerke so schnell wie möglich abzuschalten, interessiert den Audi-Käufer in China nicht. Beim ihm kommt der billige Strom aus dem Kohlekraftwerk. Wird ihm ein in Deutschland hergestellter Audi Q7 zu teuer, kauft er sich eben einen Lexus. Und Peter wird nicht von Audi übernommen.

Dass nun ganz Europa den Ausstieg aus der Atomkraft vollzieht, glauben nicht einmal die Grünen im Europaparlament. Es gehört zu den Nebenwidersprüchen deutscher Politik, dass auch in Zukunft Meiler in Europa herumstehen werden, gar nicht fern, die weit weniger sicher sind als solche, die Siemens bauen könnte. Aber Siemens plant ja auch den Atomausstieg. Und bis die Grünen in Peking an die Macht gekommen sind, wird in China noch sehr viel Kohle verfeuert werden, zum Schaden des Klimas. Dort sind die Menschen mit dem materiellen Zuwachs nämlich noch lange nicht durch.

Deutschland lebt von wirtschaftlichen Voraussetzungen, die es selbst nicht mehr zu schaffen bereit ist. Es lebt in der Lüge. Durch Selbstbegrenzung im Alleingang verringern sich die ökonomische und politische Macht eines Landes und der Einfluss auf den Rest der Welt. Das nicht zu sagen, sondern so zu tun, als ob immer alles zu haben wäre – Audi und Ai Weiwei, Klimaschutz und der Ausstieg aus der Atomkraft - ist verlogen. So verlogen wie die Tatsache, dass Deutschland Atomkraftwerke abschaltet und nun Atomstrom aus Frankreich und Tschechien importiert.

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