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Ab in die Tonne. Das Wahlrecht in Deutschland muss bis 30. Juni 2011 reformiert werden - sagte das Bundesverfassungsgericht vor drei Jahren. Doch die Politik schafft es nicht.

© dpa

Kontrapunkt: Deutschland steht am Abgrund

Drei Jahre hatte das Bundesverfassungsgericht der Politik Zeit gegeben, ein neues Wahlrecht zu beschließen. Passiert ist nichts. Für Schwarz-Gelb kann das der größte Trumpf im Ärmel werden.

Das Auswärtige Amt (AA) muss handeln. Auf seiner Website werden die internationalen Wahlbeobachter gepriesen. Die würden die „die Bedingungen zur Durchführung von freien und fairen Wahlen und somit die Voraussetzungen für das Vertrauen in den Demokratisierungsprozess“ verbessern. Das AA sollte sicherheitshalber schon mal bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ein Großaufgebot bestellen. Denn es wird brenzlig in Deutschland. Man könnte es auch so sagen: Deutschland steht vor dem demokratischen Abgrund.

Aber das AA wird wohl nicht handeln. Erstens weil es sich aus der Innenpolitik heraushält und zweitens ist ihr Minister ja Teil des Grauens. Schließlich war er ja mal Vorsitzender einer liberalen, rechtsstaatlichen Partei (FDP) und man könnte auf den Gedanken kommen, dass so eine Partei wie ein bissiger Wachhund aufpasst, dass der wertvollste Schatz einer Demokratie nicht abhanden kommt: ein sauberes und vor allem verfassungskonformes Wahlrecht. Das aber wird es in Deutschland ab 1. Juli nicht mehr geben. Der Hund hat sich nicht nur als zahnlos erwiesen, schlimmer, er und seine Wachkollegen haben die Tore geöffnet. Jetzt wird geplündert.

Dabei hat das Bundesverfassungsgericht der Politik drei Jahre Zeit gegeben, ein verfassungskonformes Wahlrecht zu erstellen. Die Kritik richtet sich vor allem gegen die so genannten Überhangmandate. Kurz gesagt, kann eine Partei dabei mehr Sitze im Deutschen Bundestag erlangen, obwohl sie faktisch weniger Stimmen hat. Bis zum 30. Juni sollte die Politik nun eine neue Regelung finden. Doch die Verantwortlich strecken die Waffen. Man werde zwar vielleicht einen Entwurf vor der parlamentarischen Sommerpause finden. Mehr aber auch nicht. Und das ist ein Armutszeugnis.

Warum das so ist und warum es um Millionen geht, lesen Sie auf der nächsten Seite

Nicht nur, weil der Zeitplan nicht eingehalten wird, sondern vor allem, weil außer dem Mahner Norbert Lammert kaum einer aufschreit. Dabei ist es jetzt die Zeit für Nacht-, Sonder- und Dringlichkeitssitzungen. Für hektische Telefonate und konspirative Treffen zwischen Angela Merkel und Sigmar Gabriel. Den Philipp Rösler könnten sie auch dazu rufen, der neue Chef-Liberale. Aber nichts davon passiert. Es geht eben nicht um Milliarden, sondern nur um Millionen – Stimmen nämlich. Gültige Stimmen derer, die über Macht und Machtverlust entscheiden.

Man könnte auch sagen, es ist ja noch lange hin bis zur nächsten Bundestagswahl – zwei Jahre – und in der Zeit werde man schon eine Neuregelung finden. Nur was passiert eigentlich, wenn die ohnehin instabile schwarz-gelbe Koalition bricht? Wenn Griechenland doch noch zum Casus Belli werden sollte? Wenn Merkel nicht mehr kann oder will? Dann muss Deutschland neu wählen – auf Grundlage eines verfassungswidrigen Wahlrechts. Vermutlich würde das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe schon bei der Klage eines einzigen Wählers ein Schnellverfahren einleiten mit gewissem Ausgang: die Neuwahl wäre ungültig. Deutschland nicht nur blamiert, sondern der Ruf ruiniert.

Außerdem bleibt die Frage: Wie sollen sich die Parteien einigen in zwei Jahren, wenn sie es in dreien nicht schaffen. Denn alle verfolgen sie ihren eigenen Vorteil. Vor allem die Union profitierte in den vergangenen Jahren immer stark von den Überhangmandaten. Und natürlich ist die Suche nach einem neuen System schwer, das die Vorteile des Alten erhalten soll. Die anderen wiederum versuchen das neue gleich so zu konstruieren, dass man selbst am meisten von profitiert.

Aber nicht nur dieser Umstand macht eine schnelle Einigung unwahrscheinlich. Es ist auch der Reiz des Vakanten, der für Schwarz-Gelb zum Vorteil wird. Denn eine Liebesbeziehung ist das schon lange nicht mehr, wohl aber eine Zweckbeziehung. Und nun haben sie den vielleicht besten Grund, zusammen zu bleiben – um eine illegale Wahl zu umgehen. Sie sind auf dem besten Weg. 

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