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Internetaktivisten von Anonymous mit der typischen Guy Fawkes-Maske.

© AFP

Kontrapunkt: Die digitale Weltpolizei

Internetaktivisten von Anonymous haben Daten des Analysedienstes Stratfor geklaut, die Wikileaks kürzlich öffentlich machte. US-Behörden sind den Aktivisten auf der Spur. Heiligt das Ziel deren Mittel?

Dieser Fall ist absurd, vielschichtig und schreit nach Konsequenzen. Die Online-Guerilleros von Anonymous haben Millionen von E-Mails des US-amerikanischen Analysedienstes Stratfor geklaut, sie an Wikileaks weitergereicht und sich anschließend in Netzforen diebisch über deren Verbreitung gefreut. Nun haben US-Behörden mit Verhaftungen mehrerer Aktivisten reagiert, was bei Anonymous gar nicht so leicht ist, denn die Organisation hat keine Mitgliederlisten, keine Satzung und kein Vereinsheim. Auch ihre ideologische Ausrichtung ist nebulös, nur die Orientierung an dem, was die Mehrheit der Menschen als gerecht empfindet, war bislang eine wichtige Konstante. Bemerkenswert an dem Stratfor-Coup ist jedoch, dass der größte Vorwurf an die Firma aus Texas lautet, ein Schatten-Geheimdienst zu sein und ohne gesellschaftliches Mandat oder parlamentarische Kontrolle Menschen auszuspionieren und unter Druck zu setzen. Nichts anders macht allerdings Anonymous selbst. Das Merkwürdige dabei: die Hacker haben die Moral auf ihrer Seite.

Der Auslagerungs-Wahn hat seit Beginn der 90er Jahre für allerhand Privatisierungen gesorgt. Was früher der Staat erledigt hat, machen nun private Firmen. Das führt mitunter zu Merkwürdigkeiten wie der Übernahme der Verwaltung einer Kommune in England durch eine Tochterfirma von Bertelsmann oder zu einem „Modellprojekt“ in Hessen, wo die Justizvollzugsanstalt Hünfeld teilweise von einer privaten Firma übernommen wurde. Es führt jedoch auch zu Ungeheuerlichkeiten, wie dem Einsatz von mehr als 20.000 „Privaten Sicherheitsleuten“ durch die US-Armee im Irak, die im toten Winkel der allgemeinen Wahrnehmung bewachen, schießen und töten. Und nun eben auch zur Auslagerung nachrichtendienstlicher Aufgaben – schließlich werden die Stratfor-Analysen auch von US-Behörden wie dem Heimatschutzministerium und dem Militärgeheimdienst DIA gelesen.

Über die politische Dimension des Privatisierungs-Fetischs, die mit den nicht gewählten Technokraten-Regierungen in Italien und Griechenland als Folge der Eurokrise zusätzlich aufgetaucht ist, muss an anderer Stelle gesprochen werden. Dass jedoch private Firmen das Recht so weit beugen, dass sie die „finanzielle, sexuelle oder psychologische Kontrolle“ über einen Menschen fordern, wie dies ein Stratfor-Analyst es getan hat, gibt dem Auslagern des Unangenehmen eine neue Dimension. Es ist mehr als bedenklich, dass es eine ideologisch diffuse Hackergruppe benötigt, um solche Praktiken zu aufzudecken.

Natürlich darf darüber diskutiert werden, ob einer illegalen Vereinigung, die das Gesetz bricht, die Absolution erteilt werden darf. Die US-Behörden haben mit ihrem jüngsten Schlag, bei dem sie den  Top-Hacker „Sabu“ zum Spion umgedreht haben, ihren Kampfeswillen gezeigt. Von einem Vorgehen dieser Behörden gegen Stratfor und seine Methoden ist dagegen nichts bekannt. Auch in Deutschland gab es den moralisch notwendigen Rechtsbruch, etwa wenn sich Wolfgang Thierse marschierenden Nazis entgegensetzte. Das nicht immer das Gleiche recht und rechtens ist, darf keine generelle Entschuldigung für Anonymous sein. Aber neben der Verfolgung der Hacker müssen sich die Sicherheitsorgane auch mit deren Veröffentlichungen beschäftigen. Schließlich wurden auch die CD’s mit Namen von Steuerflüchtlingen gekauft.

Anonymous hat sich schon mit der mexikanischen Drogenmafia und rechtsradikalen Parteien wie der NPD angelegt, erst vor wenigen Tagen hat die Gruppe in den USA 40 Kinderporno-Seiten lahmgelegt. Man kann es Vigilantismus nennen – oder die neue Weltpolizei. Beurteilt man die Hacker nach ihren Taten, trifft bislang das zweite Urteil zu. Anonymous ist die logische Konsequenz aus der Neigung, alles Unangenehme, Unappetitliche und Unprofitable auszulagern und zu verschleiern. Nicht gegen Anonymous sollte sich der Zorn der Behörden richten – sondern gegen die Skandäle, die von den Hackern aufgedeckt wurden. 

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