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Über einen Weltuntergang am 21. Dezember 2012 wird spekuliert.

© dpa

Kontrapunkt: Die Koketterie mit dem Weltuntergang ist obszön

Am 21. Dezember 2012 geht wegen des vermeintlichen Endes des Maya-Kalenders angeblich die Welt unter. Das Apokalypse-Fieber grassiert, säkular wie mythologisch. Doch wir sollten unsere Mitmenschen nicht mit Doomsday-Furcht überladen.

Für 26 Familien in Newtown, Connecticut, hat der Weltuntergang bereits stattgefunden. Er traf sie unvorbereitet, wie „aus heiterem Himmel“. Seit Freitag ist ihre Welt umwölkt. Sie ist leerer, trauriger, einsamer. Erklärungsversuche für das Verbrechen gibt es seitdem viele. Doch keine überzeugt. Zu viele Mosaiksteine fehlen. Es gibt Ähnlichkeiten zu früheren Massenattentaten und -tätern, aber auch Besonderheiten.

Eine davon ist das Verhältnis von Adam Lanza zu seiner Mutter. Sie war sein erstes Opfer. Er erschoss sie am frühen Morgen in ihrem Bett, womöglich schlief sie noch. Auch die Informationen über die 52-jährige Nancy Lanza ergeben noch kein abschließendes Bild. Sie lebte mit ihrem Sohn in einem großen Haus, bekam jährlich von ihrem geschiedenen Mann rund 250 000 Dollar Alimente, hatte Adam aus verschiedenen Schulen genommen, um ihn zu Hause zu unterrichten, war in Waffen vernarrt und brachte Adam das Schießen bei, sie ließ niemanden – selbst Freunde und Bekannte nicht – in ihr Haus und hortete offenbar nicht nur Waffen, sondern auch Lebensmittel. Laut Aussagen ihrer Schwägerin Marsha Lanza erwartete Nancy Lanza den baldigen Zusammenbruch der Zivilisation und wollte auf das darauf folgende Chaos vorbereitet sein. Sie war offenbar ein „prepper“, ein „survivalist“.

Ebenfalls am vergangenen Freitag lief der 36-jährige Ming Yongjun in einer Grundschule in Zentralchina mit einem Messer Amok. Er verletzte 23 Schüler und eine ältere Frau. Die Behörden sagen, er habe Angst vor dem angeblich drohenden Weltuntergang gehabt und sei „von den Gerüchten über das bevorstehende Ende der Welt psychologisch stark beeinflusst worden“. Zeitgleich werden in der russischen Stadt Tomsk „Apokalypse-Pakete“ mit Essen, Medizin und einer Flasche Wodka verkauft, in Amerika verschanzen sich Bürger in Bunkern, in die französischen Pyrenäen pilgern Menschen, die glauben, dass ihnen dort das Fegefeuer erspart bleibt.

Denn an diesem Freitag, dem 21. Dezember 2012, geht wegen des angeblichen Endes des Maya-Kalenders wahlweise die Welt unter, die Erde in eine höhere Dimension über oder es kommen Außerirdische. Das Apokalypse-Fieber grassiert.

In der Mythologie entstehen apokalyptische Sehnsuchtsängste oft durch die Erwartung von Strafe aufgrund begangener Sünden. Die Sintflut ist die Sündflut. Ein zweites Motiv ist das schlechte Gewissen, erzeugt von zu viel Glück und Wohlstand. In Schillers „Ring des Polykrates“ heißt es: „Drum, willst du dich vor Leid bewahren, so flehe zu den Unsichtbaren, dass sie zum Glück den Schmerz verleih’n. Noch keinen sah ich fröhlich enden, auf den mit immer vollen Händen die Götter ihre Gaben streu’n.“

Wir beuten den Menschen, seine Ressourcen und die Umwelt aus: Das muss sich doch rächen, raunt der säkulare Apokalyptiker. Den Zusammenbruch des Kapitalismus prophezeite Karl Marx, die weltweite Nahrungsmittelknappheit infolge einer Bevölkerungsexplosion der britische Ökonom Thomas Malthus, Klimaschützer erwarten das Jüngste Gericht durch den Anstieg der Meeresspiegel. Am 11. September 2001 kam die Armageddon-Vision zwischen den Mächten der Freiheit und denen der Finsternis hinzu. Seit der globalen Finanzkrise schließlich ist der Untergangsdiskurs ein fester Bestandteil der politischen Rhetorik. Barack Obama nennt es eine „Krise von historischem Ausmaß“, Angela Merkel diagnostiziert eine „Bedrohung unserer Gesellschaftsordnung“, und das großbürgerliche Feuilleton orakelt über einen „weltbürgerkriegsähnlichen Zustand“.

Von Weltuntergangspropheten führt kein direkter Weg zu Massakern an Kindern. Weder kausal noch ethisch. Aber vielleicht gibt es einen Imperativ der Zuversicht. Einen Auftrag, Kinder und Mitmenschen nicht mit Doomsday-Furcht zu überladen, sondern Vertrauen zu schenken, Hoffnung zu verbreiten. Die Koketterie mit dem Weltuntergang ist oft obszön. Das wissen zuallererst jene, die ihn bereits einmal erlebt haben. Zum Beispiel in Newtown.

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