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Kontrapunkt: Die Murdoch-Affäre und der britische Frühling

Rupert Murdoch wird zum Oberschurken der letzten 30 Jahre aufgebaut. Das ist übertrieben. Aber richtig ist, dass sich Murdochs Sturz nahtlos in die Reihe epochaler Erschütterungen der britischen Gesellschaft einfügt.

Mitten im verregneten Sommer feiern die Briten politischen Frühling. Ein Tyrann wird gestürzt. Rupert Murdoch und sein Sohn James am Dienstag vor dem Unterhausausschuss - das war fast, als sei ein Diktator vom Schlage Gaddafis, vor dem das Land jahrzehntelang in Furcht und Schrecken lebte, vors Den Haager Menschenrechtsgericht zitiert worden. Eine Gesellschaft, die sich offenbar bis hinauf zu ihren Premierministern von dem Medienherrscher einschüchtern ließ, rächt sich. Wie bei jeder Revolution rollen die Köpfe - Zeitungsleute, Medienmanager, Polizisten und bald vielleicht auch Politiker.

Labourchef Ed Miliband spielt jetzt die Rolle des jugendlichen Revolutionärs. Glühend vor Begeisterung beschreibt er das Gefühl, "dass sich alles geändert hat". Die Politik habe "eine neue Seele" bekommen. Er meint damit auch sich selbst. Eben noch wollte seine Partei ihn als politischen Versager absägen, nun entwirft er eine kühne Zukunftsvision nach der anderen. Murdoch war nur der Anfang. Als nächstes will er alle Zentren "unverantwortlicher Macht" von den Banken bis zu den großen Energiekonzernen zurechtstutzen.

Premier Cameron dagegen wurde wie der letzte Statthalters des diskreditierten Ancien Régime auf der falschen Seite erwischt. Gerade noch saß er scheinbar fest im Sattel. Nun wird er mit jedem Rücktritt verwundbarer. Wenn er nicht schnell doch noch die rechten Worte findet, wird er vom Strudel der Umwälzung hinuntergezogen. Feinde hat er schon genug, auch in der eigenen Partei. Aus Afrika musste er gestern vorzeitig zurückkehren, um seine Position zu festigen. Wäre er daheim geblieben, hätte man ihn als Gefangenen der Krise kritisiert, unfähig, sein Amt als Premier auszuüben.

Großbritanniens Linke hat mit der Generalabrechnung begonnen. Neben Margaret Thatcher wird Rupert Murdoch jetzt zum Oberschurken der letzten 30 Jahre aufgebaut. Alles ist seine Schuld: Die Entfesselung der Marktkräfte, die Verachtung für den Sozialstaat, die zynische Schaffung einer neuen Unterklasse, die Feindseligkeit gegenüber hohen Steuern und straffer Regulierung der Banken, die Kriegslust der Briten, ihre Europafeindlichkeit.

Wie immer in solchen Krisen wird natürlich maßlos übertrieben. Aber richtig ist, dass sich Murdochs Sturz nahtlos in die Reihe epochaler Erschütterungen der britischen Gesellschaft einfügt, deren Folgen sich erst langsam und in Jahren herausschälen werden. Erst brachen die Banken zusammen und mit ihnen das Vertrauen in eine wirtschaftliche Führungselite, die nur ihren eigenen Gewinn im Auge hatte. Dann erschütterte der große Spesenskandal von 2009 das Vertrauen in Politiker und politische Institutionen. Als nächstes kam die Presse, vor allem der Boulevard, der sich als Fürsprecher des kleinen Mannes gegen das selbstgerechte Establishment hinstellte. Nun stehen fünf der höchsten Polizisten im Land am Pranger und auch das Vertrauen in die letzte Bastion einer tugendhaften Gesellschaftsordnung, die Polizei, ist erschüttert. Vertrauen können die Briten nur noch ihrer Queen.

"Wir alle haben mitgemacht", erklärte Cameron reumütig und meinte das ungesunde Network von Presse, Politikern, Parteien und Polizisten. Nicht Murdoch, sondern die "politische Klasse" steht am Pranger, eine immer dichter verklüngelte Elite, die vor allem sich selber und ihre eigenen Interessen pflegte. Manche vergleichen diese neue technokratische Elite, die in den letzten Jahrzehnten das Zentrum der britischen Gesellschaft besetzte, mit den Aristokraten des frühen 19. Jahrhundert, die über die Köpfe der neuen Massen hinweg regierten, bis die großen Reformgesetze von 1832 neue politische Institutionen schaffte.

Nun steht den Briten eine vergleichbare Reformanstrengung bevor. Von der Polizei bis zum Parlament müssen die gesellschaftlichen Institutionen für die demokratische Öffentlichkeit wieder vertrauenswürdig werden. Das wird mehr brauchen als eine richterliche Untersuchung des Presseskandals, der Polizei und ein neues Mediengesetz. Die ganze Gesellschaft ist gefordert. Vor allem aber ein Premier, der die Richtung zeigt - und etwas mehr Einsicht und Reue.

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