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Kontrapunkt: Ein bisschen Revolution

In Spanien spielen die jungen Leute Tahrir-Platz - sogar Plastikplanen haben sie dabei. Weit weg, könnte man sagen. Aber nicht mehr so weit wie Ägypten. Warum die Proteste auch Deutschland angehen.

Die Bilder gleichen sich. Schon wieder ein übervoller Platz. Wieder dominieren die jungen Gesichter, dazu die Banner, die Plastikplanen als Wetterschutz. Sogar die Polizei, die erfolglos räumen will, wenn auch diesmal in Uniform und weitgehend gewaltfrei.

Es ist kein Zufall, dass die Puerta del Sol in Madrid in diesen Tagen aussieht wie der Tahrir-Platz im Februar. Auch wenn es diesmal nicht gegen einen Tyrannen geht, sondern gegen Korruption, fehlende Mitbestimmung, die Macht der Märkte. Sie nennen es Revolution, aber ihre Anliegen sind reformistisch. Die Forderung: „Democracia Real ya!“ -  Echte Demokratie jetzt! Klar, der persönliche Einsatz der Demonstranten ist nicht mit dem der jungen Ägypter vergleichbar, ihr Protest kostet sie nicht ihre Gesundheit, höchstens etwas Lebenszeit. Ernst ist es ihnen trotzdem, gerade jetzt, da alle Demonstrationen fürs Wochenende verboten wurden und deshalb nun sicher trotzdem und umso vehementer stattfinden werden.

Ihr Ärger wird auch überschwappen in andere Teile Europas. Mittwochabend gab es den ersten Versuch einer Demonstration in Berlin. Viele waren es nicht, aber viele sind es ja nie, ganz am Anfang einer Bewegung. Proteste in Hamburg und Düsseldorf werden folgen, in Berlin wollen sie am Samstag erneut vors Brandenburger Tor ziehen. Einige werden Plastikplanen mitbringen.

Auf den ersten Blick haben Spanien und Deutschland nichts gemeinsam. Arbeitslosigkeit: 7,6 Prozent in Deutschland, 21 in Spanien. Jugendarbeitslosigkeit: 8,5 Prozent in Deutschland, unglaubliche 40 in Spanien. Defizitquote: 3,3 Prozent in Deutschland, 9,2 in Spanien. Beim Korruptionsindex liegt Deutschland auf Platz 15, Spanien auf 30.

Andererseits: Den jungen Spaniern ging und geht es weit besser als den despotengeplagten Nordafrikanern. War das ein Grund, zu Hause zu bleiben?

Man muss sich anschauen, was die junge Protestbewegung wirklich fordert. In Madrid wurde eine Erklärung veröffentlicht, quasi ein Manifest der Vielen. Darin verlangen sie Nachhaltigkeit, freie Entfaltung, ein Recht auf Wohnen, Arbeit, Kultur, dazu Verbraucherrechte, eine bessere Verteilung des Wohlstands. Vor allem: dass die Politiker zuhören sollen.

Und dann ist Deutschland eben doch nicht mehr so weit weg von Spanien. Man könnte auf Stéphane Hessels „Empört Euch!“ verweisen, das seit Wochen die deutschen Bestseller-Listen mit anführt. Auf die unübersehbare Kluft zwischen Arm und Reich, auf Dumpinglöhne und Zeitarbeitsfirmen, auf 30-jährige Dauerpraktikanten und junge Berufstätige, die bei ihren Eltern wohnen. Auch auf die Partikularprotestler in Stuttgart oder Berlin. Auf der Internetseite Twitter hat sich nach den Ereignissen in Spanien gerade ein neues Lieblingsschlagwort etabliert: „germanrevolution“. Es rangiert weit vor „Kleinanzeigen“ und „Germanys Next Topmodel“.

Wenn es in Berlin doch mal einen Tahrir-Platz geben sollte, wählt bitte den Gendarmenmarkt. Das Auge rebelliert ja mit.

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