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Freie Wahlen müssen nicht mit der Einhaltung von Menschenrechten einhergehen. In Ägypten ist dies noch nicht sicher.

© dpa

Kontrapunkt: Euros für Islamisten

Der Arabische Frühling wird in Europa per se als gut begriffen. Doch frei gewählt, wie jetzt in Ägypten, heißt noch lange nicht human, meint Malte Lehming. Finanzielle Hilfsleistungen in der Region sollten daher an Bedingungen geknüpft werden.

Demokratie und Menschenrechte gehören nicht zwangsläufig zusammen. Der Vatikan etwa ist keine Demokratie, aber ein ziemlich ziviles Gemeinwesen. Der Gazastreifen wiederum wird von der frei gewählten Hamas regiert, die allerdings Tod und Terror verbreitet. Von daher ist es zwar gut, wenn jetzt, wie in Ägypten, zum ersten Mal in der Geschichte eines Landes ein frei gewählter Präsident an die Macht kommt, doch dessen Legitimität garantiert an sich noch keinen Fortschritt in humanitärer Hinsicht. Die Würde des Menschen, Rechtsstaatlichkeit, Minoritätenschutz – all das sind keine Früchte, die den Menschen in demokratischen Systemen in den Schoß fallen, sondern Werte, die erkämpft werden müssen.

Vor einem Monat beschloss die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) einen Sonderfonds in Höhe von einer Milliarde Euro für vier Länder des „Arabischen Frühlings“, namentlich Ägypten, Tunesien, Marokko und Jordanien. Die EBRD war 1991 gegründet worden, um die Marktwirtschaft in den Ländern des ehemals sowjetisch beherrschten Blocks zu fördern. Doch inzwischen hat sie Büros auch in Kairo, Casablanca, Tunis und Amman eröffnet. Trotz knapper Penunzen in Europa erhofft man sich durch entsprechende Finanzspritzen eine beschleunigte Entwicklung der moslemischen Mittelmeeranrainer in Richtung Demokratie und Menschenrechte.

Was nährt den Optimismus? Handelt es sich bei den Aufständen in Tunesien und Ägypten, Libyen und Syrien um demokratische Revolutionen? Oder sind es anti-säkulare Bewegungen, die letzten Endes die Machtübernahme islamistischer Parteien begünstigen? So geschehen in Tunesien, Marokko und Ägypten. In Libyen, wo mit Hilfe der Nato Muammar Gaddafi gestürzt wurde, herrschen heute bis an die Zähne bewaffnete Milizen. Die vom Westen gelieferten Waffen werden an islamistische Rebellen in Niger, Mali und den Tschad verkauft. Der Jemen ist zum bevorzugten Rückzugsraum von Al Qaida geworden. Die Zwischenbilanz nach 18 Monaten arabischer Revolten fällt düster aus.

Ägypten ist das wichtigste moslemische Revolutionsland. Der Kandidat der Muslimbrüder, Mohammed Mursi, der auch von den Salafisten unterstützt wurde, ist neuer Präsident. Er gründete einst die „Ägyptische Kommission gegen Zionismus“, umgibt sich mit radikalen Predigern, hat bereits eine Wiederaufnahme der Beziehungen zum Iran angekündigt und unterhält gute Beziehungen zur Hamas. Israels Regierung gibt sich betont zurückhaltend, ist aber zu Recht besorgt. Wird der Waffenschmuggel in den Gazastreifen intensiviert? Wird die Hamas, um vor Angriffen israelischer Jets sicher zu sein, sich auf ägyptisches Territorium ausdehnen dürfen? Wird der ohnehin kalte Frieden endgültig auf Eis gelegt?

In diesem Klärungsprozess muss der Westen Position beziehen. Hilfe sollte an Bedingungen geknüpft sein. Dazu gehören: Gewaltfreiheit, Einhaltung aller internationalen Verträge, die Gewährung von Rechtsstaatlichkeit, Meinungs- und Religionsfreiheit. Das Recht etwa, seinen Glauben frei wählen, ihn ungehindert ausüben und auch wechseln zu dürfen, ist ein Menschenrecht. Doch selbst sich moderat gebende Islamisten wollen Apostasie streng bestrafen, die Verfolgung von Christen – im Irak und in Ägypten zum Beispiel – hat zugenommen.

Keiner kann wissen, wie sich die Dinge entwickeln. Wahrscheinlich ist ein demokratisch gewählter Islamist besser als ein selbst ernannter Despot. Israelfeindschaft und religiöser Fundamentalismus waren in der Region unterdrückt worden, jetzt brechen sie sich Bahn. Es wäre schön, wenn Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Emanzipation und Menschenrechte mit dem Islam vereinbar wären. Ob und in welcher Form: Darüber kann noch niemand ein abschließendes Urteil fällen.

Die EBRD will eine Milliarde Euro in den „Arabischen Frühling“ investieren. Soll sein. Aber bitte nicht als einseitige Vorleistung, die sich allein aus dem Wunsch speist, alles werde irgendwie gut.

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