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Ein "Ökodiktator" protestiert vor dem Kanzleramt.

© dapd

Kontrapunkt: Gegen die Ökodiktatur

Gegner und Befürworter der Atomkraft liefern sich ihre letzte Schlacht. Bei der überfälligen Wende von den fossil-atomaren zu den erneuerbaren Energien gilt es tatsächlich eine Ökodiktatur zu überwinden – die Diktatur der Ökonomie.

Die derzeit abgeschalteten sieben ältesten Atomkraftwerke sollen nicht wieder ans Netz gehen. Darauf einigten sich nun die Umweltminister von Bund und Ländern. Vielleicht schon am kommenden Wochenende steht die Entscheidung der Regierung zur Atomwende an – und Gegner sowie Befürworter der Atomkraft rüsten zur letzten Schlacht.

Wenn an diesem Sonntag bei der Sitzung des Koalitionsausschuss in Berlin die Regierung über einen Zeitpunkt für den Atomausstieg berät, dann werden zuvor am Samstag in 21 Städten wieder Tausende für den Ausstieg aus der Atomkraft auf die Straße gegangen sein.

Derweil versuchen die Atomkonzerne ebenfalls Druck auf die Regierung auszuüben: Vor dem CDU-Wirtschaftsrat hat RWE-Chef Jürgen Großmann Kanzlerin Merkel scharf kritisiert und der CDU wirtschaftliche Blauäugigkeit und Populismus vorgeworfen. Er warnte gar vor einer „Ökodiktatur“. Verschiedene Netzbetreiber, darunter die RWE-Tochter Amprion und  EnBW-Netze, hatten zuvor in einem Memorandum Alarm geschlagen und vor einem Blackout im Winter gewarnt. Auch die Bundesnetzagentur schließt Probleme im Winter nicht aus. Vor allem in Süden könnten diese demnach drohen.

Doch selbst RWE-Dinosaurier Großmann gesteht inzwischen ein, beim Atomausstieg sei die Messe wohl gelesen. Dennoch geht es noch einmal um viel: neben dem Ausstiegsdatum für  auch um die Brennelementesteuer. Diese möchte CSU-Chef Seehofer am liebsten abschaffen, da sie „mit einer deutlichen Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke“ eingeführt worden war. Abgesehen davon, dass Seehofer damit zugegeben hat, dass die Koalition sich bei der Laufzeitverlängerung hat kaufen lassen, wie Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin anmerkte, möchte Seehofer den Energiekonzernen offenbar eine Beteiligung an der Endlagerung der Brennelemente ersparen. Ein solcher erneuter Kuhhandel liefe auf das hinaus, was im Finanzsektor beinahe schon Alltag ist: Die Gewinne einigen wenigen, die Lasten der Allgemeinheit.

Fast aus dem Blick gerät dabei die Lage in Japan: Mittlerweile wurde bekannt, dass es nach dem verheerenden Erdbeben und dem Tsunami am 11. März im japanischen Kernkraftwerk Fukushima in drei von vier Blöcken zu einer Kernschmelze gekommen ist. Dies hat nun der Fukushima-Betreiber Tepco zugegeben, der höchstwahrscheinlich bereits wenige Stunden nach dem Unglück von der Kernschmelze wusste, aber diese verheimlichte. Noch immer ist die Situation in Fukushima ungelöst und gefährlich. Dass Ratingagenturen in Folge der Katastrophe jetzt die  Kreditwürdigkeit Japans infrage stellen, nimmt sich angesichts der strahlenden AKW-Ruine in Fukushima fast schon marginal aus. Zur ökologischen Katastrophe kommt die ökonomische.

Angesichts dessen ist das Gekeife von der „Ökodiktatur“ eine Unverschämtheit eines Atom-Lobbyisten, der sich zur Wahrung seiner oligopolistischen Gewinne viel zu lange auf die Schützenhilfe durch die Regierungsparteien verlassen konnte.

Bei der überfälligen Wende von den fossil-atomaren zu den erneuerbaren Energien geht es nicht nur um Ökonomie und Politik. Der 2010 verstorbene SPD-Politiker Hermann Scheer, Energieexperte und Träger des alternativen Nobelpreises, definierte die Entwicklung der Gesellschaften hin zu den erneuerbaren Energien als ethische Wende, die dem Menschen nutzt.

Der Wechsel wird nicht im Konsens zu vollziehen sein, schreibt Scheer, da die Energiekonzerne klare Verlierer dieses Strukturwandels sein werden. Doch für ihn ist er „die ultima Ratio: der letztmögliche Weg, existenzielle Gefahren abzuwenden, die irreversible sein können.“ Die Bremser und Blockierer gilt es aus dem Weg zu räumen, ebenso wie Scheinkonsense wie das Gerede von der „Brückentechnologie“. Die Gestaltung der Energiewende ist Aufgabe des Staates mit Legitimation und unter Einbezug der Mehrheit der Bevölkerung. Überließe man das Feld den Vertretern der deregulierten Marktwirtschaft, so befände man sich wahrlich in einer Ökodiktatur – einer Diktatur der Ökonomie.

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