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Bundeskanzlerin Angela Merkel.

© dapd

Kontrapunkt: Merkel, Stimmen und Stimmungen

Die japanische Katastrophe und die deutsche Atompolitik - die Kanzlerin gibt dazu am Donnerstag eine Regierungserklärung ab. Es werden weniger die sachlichen Entscheidungen, als vielmehr der Ton sein, der Aufschluss darüber gibt, ob und was Merkel (nicht) verstanden hat.

Es ist legitim, wenn Wahlkämpfer und Parteichefs auch im Angesicht schrecklicher Katastrophen an den Ausgang wichtiger Wahlen denken. Man könnte, im Gegenteil, daran sogar ihre Bereitschaft messen, Haltungen und Gefühle der Bevölkerung ernst zu nehmen, um deren Zustimmung sie werben. Als die ersten Meldungen von der Reaktorkatastrophe um die Welt gingen, war der Vorwurf schnell zur Hand, Grüne und SPD würden parteipolitische Vorteile auf dem Rücken des japanischen Volkes suchen. Er war völlig unsinnig. Man kann Parteien nicht vorwerfen, dass sie in ernster Lage Forderungen erheben, die sie, wie die Grünen, seit ihrer Gründung oder, wie die SPD, seit Jahrzehnten vertreten.

Es war darum schnell erkennbar, dass solche Vorwürfe ins Leere laufen mussten. Die Beunruhigung in der Bevölkerung war greifbar, es folgte eine Kehrtwende der schwarz-gelben Atompolitik. Die ersten Reihen von CDU, CSU und FDP stehen fest, in den zweiten ist ein Gegrummel über Zurückweichen vor deutscher Hysterie zu vernehmen, einige Spitzenleute wie Unions-Fraktionschef Volker Kauder oder der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus müssen viel Kreide essen. Mitleid muss man damit nicht haben und vermutlich erwarten die Kauders es auch gar nicht.

Mappus konnte man seine Saulus-Paulus-Wandlung fast glauben, die er gestern vor dem Stuttgarter Landtag mit seiner Rede abgeben wollte. Der Glaube war dahin, als SPD-Chef Nils Schmid diese Rede ganz ruhig Satz für Satz demontierte und Mappus' Gesicht dabei Bände sprach: Am liebsten wäre er laut aufgesprungen; er durfte aber nicht.

Wer für eine atompolitische Wende, wer für die Rückkehr zum rot-grünen Ausstiegskompromiss ist, sollte im Interesse der Sache Triumphgefühle gegenüber denen zügeln, die jetzt umdenken. Soll Merkel doch Stimmungskanzlerin sein, wenn das zu vernünftigeren Lösungen führt als dem Ausstieg-vom-Ausstieg-Kompromiss ihrer Regierung, der tatsächlich ja gar keiner war. Denn anders als beim rot-grünen Ausstieg, den Atomkraftgegner mit Kernenergiebefürwortern beschlossen haben, ist die schwarz-gelbe Laufzeitverlängerung ja eine Einigung von mehr oder weniger überzeugten Anhängern der friedlichen Nutzung. Auch deshalb darf man ihn als bloßen Deal bezeichnen.

Wer die schwarz-gelbe Wende glauben soll, muss daran glauben können, dass nun ein echter Kompromiss, kein neuer Deal gesucht wird. Man muss nur in Richtung Frankreich blicken, um zu wissen, dass selbst bei bestem politischen Willen der Weg zum Ausstieg lang und schwer ist. Vorbilder wie Österreich sind dabei wichtig, das Vorbild der großen Industrienation Deutschland hätte ein unschätzbares Gewicht.

Ist Merkel wirklich zur "Stimmungskanzlerin" geworden, die verstanden hat, dass die Ablehnung der Atomkraft in der deutschen Bevölkerung ein politischer Faktor ist, der nach der japanischen Zäsur sogar für schwarz-gelbe Mehrheiten nicht umgehbar ist? Stimmungskanzlerin also im Sinne eines Verstehens, was nicht möglich ist und was möglich werden könnte, um den selbstpostulierten Weg zu den erneuerbaren Energien schneller zu gehen?

Angela Merkel hat mit den Bildern und Erklärungen dieser Tage mehr Raum für den Verdacht gelassen, dass es ihr doch mehr um die Wahlen als um einen tragfähigen Kompromiss und Wege zu neuen Ufern geht. Nicht nur, weil nirgendwo ein Hauch jenes "Ich habe verstanden" zu spüren ist, der ihren bisherigen Gegnern bescheinigt, dass sie vielleicht doch nicht ganz falsch gelegen haben. Die Zweifel beruhen hauptsächlich darauf, dass auf Merkels Bekenntnissen zur "Zäsur" Inszenierungen folgen, die jedes Taktgefühl für die Stimmungen in der Bevölkerung vermissen lassen. Ein banales Beispiel dafür sind die Bilder, die Merkel umrahmt von sieben Männern - sechs Schwarze und ein Gelber - zeigen. Formal korrekt, wenn Merkel nur die Ministerpräsidenten einlädt, in deren Ländern AKWs stehen. Im Verhältnis zur Weltzäsur aber ist diese Runde das denkbar kleinste machtpolitische Karo und im Verhältnis zu den Erwartungen des Landes auch. Merkel hat nicht verstanden, dass sie auf Menschen, Verbände, Parteien zugehen muss, die das "Restrisiko" schon vor der schrecklichen Zäsur für unverantwortbar gehalten haben. Sie hat nicht verstanden, dass diese "deutsche Angst" ein politisches Pfund ist für den Weg in das neue Energiezeitalter.

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