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Kontrapunkt: Noch einmal: Kommunismus

Im Kontrapunkt antwortet Tissy Bruns diesmal auf die Online-Diskussion zu ihrem Beitrag "Die verlogene Unschuld des Kommunismus". Hat der wahre Kommunismus mit dem real erlebten und seinen Verbrechen nichts zu tun?

Tut mir leid, sagt ein fiktiver Karl Marx mit seinem Rauschebart, war halt nur so 'ne Idee von mir. Eine geniale Karikatur, die in den Jahren unmittelbar nach dem Mauerfall große Verbreitung fand. Der Kontrast zwischen dem lapidaren Satz und den Realitäten des zusammengebrochenen Systems unterstrich, dass es leichte Erklärungen, gar Entschuldigungen für ein Unrecht nicht geben kann, das mit der Befreiung der Menschheit auf seinen Fahnen in ein totalitäres Repressionssystem geführt hatte.

"Die Instrumentalisierbarkeit des Traums von der großen Befreiung, der Werte von Solidarität und Menschlichkeit zu den Zwecken hermetischer Politbüros war Bedingung dieser totalitären Macht", habe ich in meinem Beitrag zur Debatte um Gesine Lötzschs "Wege zum Kommunismus"-Text geschrieben. In zahlreichen Kommentaren bei Tagesspiegel- und ZEIT-Online wird die Idee des Kommunismus von seiner Realität in einer verblüffenden Beiläufigkeit getrennt. Nicht Gegenargumente werden bemüht, um die "Instrumentalisierbarkeit" zu widerlegen; sie wird vielmehr in einer ganzen Reihe von Beiträgen mit einer schlichten Gegenbehauptung einfach ignoriert und zur bloßen Instrumentalisierung umgemünzt: Weil der Kommunismus, der die freie Entfaltung des Einzelnen als Ziel anstrebt (Endzeitvision des "Kommunistischen Manifests"), in Wirklichkeit ja nie an der Macht war, sondern stets nur böse, machtversessene Usurpatoren dieser Idee, könne er gar nicht widerlegt sein. Wer Lötzsch kritisiere, stelle sich nur in die Reihe der deutschen Angst-Hysteriker vor dem K-Wort.

Die Unterscheidung von Sozialismus als Übergangsgesellschaft und Kommunismus als klassenloser "Association" und Ende aller Klassenkämpfe ist mir aus einschlägigen ML-Schulungen meiner DKP-Zeit natürlich geläufig. Wer sie heute als Deutungs- und Begriffsmuster gelten lässt, muss allerdings den scharfen Legitimationsdruck akzeptieren, den die historische Wirklichkeit geschaffen hat. Heute wird als "Kommunismus" verstanden, was kommunistische Parteien und Kommunisten in den sozialistischen Ländern unter Berufung auf das hehre Ziel als Unrecht begangen und gerechtfertigt haben. Sie haben sich, mindestens, die schöne Idee zu ihrem Instrument gemacht. Wer dem Begriff einen aktuellen visionären Gehalt abgewinnen will, kann die Frage, warum und wie sie so lange instrumentalisiert werden konnte, nicht ausblenden.

Man muss mein Urteil nicht teilen, dass es die Vorstellung von einem menschlichen Endzustand (Paradies auf Erden) selbst war (und wieder sein könnte), die seiner Instrumentalisierung zu Machtzwecken unweigerlich den Weg bereitet. Die Überzeugung von der besten Idee führt Menschen leicht zu der Anmaßung, in ihrem Namen konkretes Unrecht rechtfertigen zu dürfen. Der Glaube, im Besitz einer höheren Wahrheit zu sein, verführt dazu, sich von den Hoffnungen, Träumen, Interessen anderer Menschen nicht begrenzen zu lassen, sondern sie dieser Wahrheit unterzuordnen. Und durchaus mit allen erdenklichen Mitteln der Repression, wenn sich der Besitz der Wahrheit auch nur mit einem Quäntchen Macht verbindet. Weil der Weg zur kommunistischen Endzeit zudem nur über die (gewaltsame) Niederringung des Klassenfeindes möglich ist, also über lange währende, ganz und gar nicht herrschaftsfreie Übergangsgesellschaften, ist die Geschichte des Kommunismus eine der großen Heuchelei, der Umdeutungen aller Werte, um das menschliche Gewissen gegen konkretes Unrecht zu umgehen, zu übertölpeln, abzustumpfen. Die Idee war instrumentalisierbar: Wenn jemand aus dem Weg musste, dann reichte der Stempel des Verrats an ihr - und schon geriet in Verdacht auch jeder und jede, der menschliches Mitgefühl gegen konkretes Unrecht setzen wollte. Die gesamte Geschichte der kommunistischen Parteien und der sozialistischen Länder bis zu ihrem Zusammenbruch ist von einer Anmaßung begleitet, die den schrecklichen Jesuiten-Satz, wonach der Zweck die Mittel heiligt, weit in den Schatten gestellt hat.

Deshalb, nicht weil Liebknecht oder Luxemburg sich selbst schuldig gemacht hätten, ist an ihren Gräbern der unschuldige Kommunismus nicht mehr zu finden. Deshalb, nicht weil der Kapitalismus das Ende der Geschichte wäre (das es eben überhaupt nicht gibt), kann sich ein "demokratischer Sozialismus" allenfalls gegen den Kommunismus legitimieren. Und weil man tatsächlich versuchen muss, unsere Welt zu verbessern, muss man sich Kopf und Herz über den gescheiterten Weltverbesserungsversuch zerbrechen, der rücksichtslos über Menschen hinweg gegangen ist.

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