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Bob Dylan bei seinem Konzert in Schanghai.

© AFP

Kontrapunkt: Play it fucking loud!

Bob Dylan in Peking, ein doppelter Geniestreich: Wie es dem Großmeister gelang, die chinesischen Zensoren zu überlisten - und einen Teil seiner Fans.

Er ist 69 Jahre alt, gibt pro Jahr etwa hundert Konzerte und hat - als kleiner Relevanz-Indikator - mehr Google-Einträge als Wolfgang Amadeus Mozart, Mick Jagger, William Shakespeare, Adolf Hitler oder George W. Bush. Vor fast genau 50 Jahren, am 11. April 1961, begann er unter dem Namen Bob Dylan (ursprünglich: Robert Allen Zimmerman) im New Yorker Stadtteil Greenwich Village seine Karriere. Pünktlich zu diesem Jubiläum - und wenige Wochen vor seinem 70. Geburtstag - trat er nun vor wenigen Tagen zum erstenmal in der Volksrepublik China auf. Damit machte er sich, wen wundert's?, ein doppeltes Geschenk: Zum einen überlistete Dylan mit einem Geniestreich die chinesischen Zensoren, zum anderen narrte er erneut einen Teil seiner Fans. Welch' fulminanter Streich!

Dylan in Peking, in der Arbeitersporthalle, schwarzer Anzug, weißer Hut, im Publikum viele Apparatschiks. Kurz zuvor war der Künstler und Regimekritiker Ai Weiwei verhaftet worden, der Dissident und Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo sitzt ebenfalls im Gefängnis, das kommunistische Regime bestraft Andersdenkende derzeit besonders brutal. Sein Liedrepertoire muss sich der Sänger genehmigen lassen, das ist seit knapp drei Jahren für alle ausländischen Künstler üblich, die in China auftreten wollen. Auf so genannte Protestsongs wie "The Times They Are a-Changing" oder "Blowin' in the Wind" verzichtet er. Reden tut Dylan auf der Bühne ohnehin kaum. Normalerweise spricht ein Crew-Mitglied aus dem Off: "Ladies and Gentlemen, would you please welcome Columbia Recording Artist: Bob Dylan" und stellt die Band vor. Der größte Musiker der Folk-, Pop- und Rockgeschichte kommt also, singt, streicht die Gage ein und zieht weiter. Ein Skandal!

Prompt wettert der Asien-Direktor der Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch", Brad Adams: Dylan habe vor dem Regime gekniffen und solle sich schämen. "Der junge Dylan hätte sich von keiner Regierung sagen lassen, was er singen soll." Und: "Er hatte eine historische Chance, eine Botschaft von Freiheit und Hoffnung auszusenden, aber statt dessen erlaubte er Zensoren zu bestimmen, was er spielt." Maureen Dowd, Star-Kolumnistin der "New York Times", ist ebenfalls empört. Dylan habe sich verkauft, schimpft sie unter der Überschrift "Blowin' in the Idiot Wind". Das Wort vom "Verrat" liegt in der Luft. Mal wieder.

Denn den Verrats-Vorwurf kennt Dylan. Als er sich Mitte der sechziger Jahre eine Band zulegt und die akustische Gitarre elektrisch verstärkt - zuerst beim Newport Folk Festival 1965 -, wird er ausgebuht. Die Reinheit der Protestlehre sehen viele seiner Anhänger durch derartige Kommerzialisierung gefährdet. Das gipfelt 1966 im legendären Auftritt in Manchester in der "Free Trade Hall". Einer aus dem Publikum schreit dem Sänger ein "Judas!" entgegen, der geht zum Mikrophon und erwidert "I don't believe you", dreht sich um, geht wieder zum Mikrophon und ergänzt: "You're a liar." Dann beugt er sich zu seiner Band und murmelt "Play it fucking loud!", bevor "Like a Rolling Stone" einsetzt.

Play it fucking loud: Das wird zu Dylans impliziter Standardantwort auf alle jene Fans, die seine Weiterentwicklungen nicht nachvollziehen wollen oder können. Er, das Sprachrohr der 68er-Generation? "I had very little in common with and knew even less about a generation that I was supposed to be the voice of." Im "Wedding Song" aus dem Jahr 1974 singt er: "It's never been my duty to remake the world at large / nor is it my intention to sound a battle charge."

Wenige Jahre später hat Dylan ein religiöses Erweckungserlebnis, findet zu Gott und Jesus, wendet sich dem Christentum zu - und bekommt für "Gotta Serve Somebody" seinen ersten Grammy. Nach dem Einmarsch Israels in den Libanon 1982 (Operation "Shalom ha Galil") schreibt er das Pro-Israel Lied "Neighborhood Bully" (auf "Infidels", 1983), bewundert zwischenzeitlich gar die "Jewish Defense League" rund um den extremen Rabbiner Meir Kahane. Später wirbt er für "Victoria's Secret", spielt "Knockin' on Heaven's Door" vor Johannes Paul II. und Kardinal Joseph Ratzinger, nimmt Weihnachtslieder auf ("Christmas In The Heart"), fängt an zu zeichnen und zu malen.

Für das Gros seiner Fans ist das zu viel. Die Wandlungen ihres Idols überfordern sie. Also dichten sie ihm "inszenierte Rollenwechsel", Strategien der Identitätsverweigerung", "ständiges Unterwegssein" an. Dylan-Sätze seien nie zum Nennwert zu nehmen, wird behauptet. Der Sänger sei ein einsamer Moralist, absurder Populist, nie zu greifen. Psychologisch sind solche Interpretationsmuster verständlich. In ihnen sublimiert sich die Enttäuschung der Fans darüber, dass sich da jemand erdreistet, ständig aus ihren identitätsstiftenden kulturellen Narrativen auszubrechen. Dass ein Mensch mit knapp 70 Jahren sich fortentwickelt, Irrtümer einsieht und spirituelle Dimensionen erschließt, muss ja keineswegs widersprüchlich sein. Doch ein komplexer Charakter kann mit unterkomplexen Kriterien, etwa der Kohärenz, eben nicht begriffen werden.

Sein Konzert in Peking beginnt Dylan, nicht zum ersten Mal übrigens, mit dem explizit christlichen Titel "Gonna Change My Way of Thinking" (aus seiner Gospel-Periode in "Slow Train Coming"). Damit überrumpelt er die Zensoren, weil Begriffe wie "Rebellion", Freiheit" oder "Revolution" darin fehlen. Allerdings durchzieht der Geist dieser Begriffe das gesamte Lied:

"Gonna change my way of thinking / Make myself a different set of rules / Gonna change my way of thinking / Make myself a different set of rules / Gonna put my good foot forward / And stop being influenced by fools"

Dylan weiß, dass es eine Anmaßung wäre, die 68er-Rebellion in freien, demokratischen, westlichen Staaten in irgendeiner Weise zu analogisieren mit dem Freiheitskampf von Dissidenten in Diktaturen. Darum widersteht er der im Nachhinein angemahnten Versuchung, sein Publikum mit Zeilen wie "Come senators, congressmen please heed the call" ("The Times They Are a-Changing") zu irritieren, ja zu langweilen. Statt dessen setzt er mit ausgeprägtem Gespür für politische Subversion auf die freiheitliche Sprengkraft des Glaubens (mit durchaus erlaubter Allegorie ins Politische):

"Jesus said, 'Be ready / For you know not the hour in which I come' / Jesus said, 'Be ready / For you know not the hour in which I come' / He said, 'He who is not for Me is against Me' / Just so you know where He's coming from"

In China mit seinen 1,3 Milliarden Menschen leben 12 bis 14 Millionen Katholiken, 70 bis 100 Millionen Protestanten in inoffiziellen Hauskirchen und 15 bis 17 Millionen offiziell registrierte Protestanten. Ihre Zahl steigt. Immer wieder werden Christen verhaftet, etwa wenn sie im Freien beten wollen, weil ihre angemieteten Räume gekündigt wurden. (Wer die beeindruckende Vitalität chinesischer Christen in Berlin bewundern will, sollte an einem Sonntagnachmittag die Kirche am Hohenzollernplatz in Wilmersdorf besuchen).

Explosiv geht's auf dem Dylan-Konzert in Peking weiter. In der "Ballad of a Thin Man" heißt es: "But something is happening here / But you don't know what it is / Do you, Mister Jones?" In "A Hard Rains a-Gonna Fall": "I heard ten thousand whisperin' and nobody listenin'". Und in seiner zweiten Zugabe "Forever Young": "May You have a strong foundation / when the winds of change shift".

Und das soll Verrat sein, eine Schande, ein Kotau vor den Zensoren? Im Gegenteil! Es ist die Überlistung der chinesischen Machthaber wie auch der säkularen Protestkulturgemeinde, die sich nach "Blowin' in the Wind", "With God on Our Side" und "Masters of War" kaum weiterentwickelt hat. Betonköpfe hier, Betonköpfe da. Nur wer wie Dylan die gemeinschaftsfördernden Mythen immer wieder durchsetzt, betreibt Aufklärung im besten Wortsinn, bricht aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit aus. Bob Dylan in Peking: Der Meister in seinem Element. Play it fucking loud.

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