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Wladimir Putin.

© Reuters

Kontrapunkt: Russland braucht Putin leider noch

Putin ist kein Demokrat, aber im Moment die einzig denkbare Lösung für Russland. Allen, die sich einen Abgang des Despoten wünschen, sei ein Blick auf die anderen Parteien in der Duma empfohlen.

Demokratische Willensbekundungen sind in Russland noch nie eine einfache Sache gewesen. Doch erst mit der Parlamentswahl vom 4. Dezember 2012 habe sich das System Putin als „Lupenreine Diktatur“ erwiesen, wie die „Zeit“ schreibt. Gar einen „russischen Frühling“ ruft die „Bild“ aus, als würden die revolutionären Energieströme von Nordafrika über das Mittelmeer direkt nach Moskau fließen. Dabei schwingt stets Sympathie für die Protestierenden mit, Menschen mit Plakaten in der Hand scheinen einfach unterstützenswerter als solche mit Waffen und den typischen russischen „Uschanka“-Mützen.

Doch der Vergleich mit der „Arabellion“ nötigt einen genaueren Blick auf den flächenmäßig größten Staat der Erde ab. Denn gerade an Tunesien und Ägypten sieht man, wie schnell die Begeisterung über den Despotensturz der Ernüchterung über einen für den Westen unpassenden Volkswillen weichen kann. Allen, die sich nun offen oder versteckt einen Abgang des Despoten Putin wünschen, sei ein Blick in die hinteren Bänke des russischen Parlaments, der „Duma“, empfohlen. Die bei der Wahl zweitplatzierten Kommunisten sind die einzige Partei in Russland, deren Organisationsstruktur die Bezeichnung „Partei“ nach deutschen Maßstäben zulässt. Dass ihre Vorstellungen vom Aufbau der Gesellschaft Russland um Jahrzehnte zurückwerfen würden, muss nicht weiter ausgeführt werden. Sie sind eine Art „russische Muslimbruderschaft“: gut vernetzt, aber rückwärtsgewandt.

Die anderen „Parteien“ sind eher Wahlbündnisse, die den Interessen ihrer führenden Köpfe dienen. Nicht nur bei Medwedew und Putin, sondern auch bei dem Rechtspopulisten Wladimir Schirinowski mit seiner so genannten „Liberaldemokratischen Partei“ verhält es sich so. Jeder, der Schirinowski einmal im Fernsehen einen Gegenüber niederschreien gehört hat, wird sich danach nach der Menschlichkeit Putins sehnen. In einer Regierung Schirinowski wäre Thilo Sarrazin Integrationsminister.

Die „liberalsten“ Kräfte in Russland, wie die Partei „Jabloko“, versprechen ungehinderte Kapitalflüsse und mehr Kapitalismus. Sie gelten damit im russischen Parteienspektrum als „modern“. Anno 2011, da die Globalisierungskritik die Mitte der westlichen Gesellschaften erreicht hat und eine unter anderem vom ungebremsten Finanzkapitalismus ausgelöste Krise das Wohl der Welt bedroht, erscheint diese Einordnung absurd.

Der Westen muss sich vergegenwärtigen: Putin ist kein Demokrat, kein Modernisierer, aber er ist im Moment die einzig denkbare Lösung. Diese traurige realpolitische Erkenntnis wird sich auch in Europa durchsetzen müssen. Wer glaubt, die paar Tausend Protestierenden auf den Straßen Moskaus und St. Petersburgs seien Legion, die russischen „99 Prozent“ gewissermaßen, verkennt die Realität eines Landes, in dem die Mehrheit noch konservativer denkt als der Machthaber Putin.

Dass bei der Wahl manipuliert wurde, steht außer Frage. Immerhin zeigen aber die Proteste sowie der lebhafte Austausch im Internet, dass Russland eben keine Diktatur ist. In Zeitungen sind zustimmende Kommentare über die Proteste zu lesen. Die russische Gesellschaft lebt, wenn ihr auch die Luft zum Atmen manchmal dünn wird. In einem Land, dessen politische Realitäten so wenig Platz zum Träumen lassen, ist das schon einiges wert.

Etwas peinlich ist das ganze Russland-Malheur für die deutsche Politik. Im Spätsommer hatte Angela Merkel anlässlich der deutsch-russischen Regierungskonsultationen Medwedjew hofiert. Da gab es noch Hoffnungen, dass sich der in Russland als zu weich empfundene Noch-Präsident halten könnte. Nun wurde er von Putin nicht nur als Staatsoberhaupt ausgebremst, sondern wird als Spitzenkandidat auch für das schlechte Ergebnis bei den Parlamentswahlen verantwortlich gemacht werden.

Wladimir Putin hat in der Anfangsphase seiner Präsidentschaft viel Gutes für Russland getan. Seit mehreren Jahren schon ist er ein Klotz am Bein einer Gesellschaft, die erst durch seine stringente Politik eine werden konnte. Bevor Russland demokratisch werden kann, wird noch viel Wasser die Wolga herunterfließen. Vor allem muss eine neue Galionsfigur her. Die angeblich „westlich-liberalen“, aber in Wahrheit turbokapitalistischen Figuren, wie der Ex-Magnat Chodorkowskij oder der Ex-Schachspieler Kasparow, können es nicht sein. Ihre Interessen galten immer mehr der eigenen Person als dem Land, sie hatten nie wirklichen Rückhalt in der Bevölkerung. Der Westen sollte seine Entrüstung zurückfahren und auf einen passenden Kandidaten warten, statt künstlich „Oppositionelle“ zu feiern, die vom Gros der Russen als Feinde des eigenen Landes empfunden werden. Wenn es eine Lehre aus dem Arabischen Frühling gibt, dann die, sich nicht zu früh über einen Aufstand freuen zu dürfen.

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