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G8-Gipfel 2009 - unter anderem mit dem libyschen Staatschef Muammar el Gaddafi (2.v.r.), Ägyptens Präsident Hosni Mubarak (r.) und Angela Merkel.

© Archivfoto: dpa

Kontrapunkt: Teufelspakte mit Despoten

Von Tunesien bis Ägypten, Libyen bis Pakistan: Jahrzehntelang hat der Westen fast alle arabischen Despoten hofiert. Malte Lehming fragt, ob sich der Westen dadurch zum Komplizen der Unfreiheit gemacht hat.

Der Westen verrät seine Werte, er verspielt seine Glaubwürdigkeit, er macht sich zum Komplizen von Folter und Unterdrückung. Das ist jetzt allüberall zerknirscht zu hören, weil von Tunesien bis Ägypten, Libyen bis Pakistan lauter arabisch-muslimische Despoten unterstützt wurden und werden - von den USA wie von Europa. In der Kritik an solchen Teufelspakten schwingt der Glaube mit, sieben Milliarden Menschen, die in knapp 200 Staaten organisiert sind, könnten irgendwie konfliktfrei miteinander den Globus teilen.

Doch dieser Glaube ist naiv. Was Tradition und Historie, Religion und Kultur getrennt haben, lässt sich nicht allein durch Vernunft und Anstand friedlich zusammenführen. In der Politik herrscht das Prinzip des kleinsten Übels. Weil nicht alle Folgen des eigenen Handelns berechenbar sind, müssen um des kurzfristigen Erfolges willen langfristige Risiken eingegangen werden. Wer solche Risiken scheut, verabschiedet sich aus der Verantwortungsgemeinschaft derer, die mitgestalten.

Churchill und Roosevelt haben mit Stalin paktiert – gegen Hitler. Das ist das Prinzip des kleinsten Übels par excellence. Soll man nun Churchill und Roosevelt dafür tadeln, dass sie, gewissermaßen als Kollateralschaden, sich zu Komplizen der brutalen Machtausdehnung des Sowjetimperiums haben machen lassen? Nein. Das Ziel heiligte das Mittel. Die USA rüsteten die afghanischen Mudschahedin gegen die damaligen sowjetischen Besatzer auf. Auch das war ein teuer erkaufter Erfolg, denn aus den Mudschahedin wurden später die Taliban. Erich Honecker wurde in der Bundesrepublik als Staatsgast empfangen und erhielt Milliardenkredite, deutsche Sozialdemokraten verfassten gemeinsame Strategiepapiere mit der SED: War das noch Wandel durch Annäherung oder geschah der spätere Wandel trotz solcher Anbiederung?

Post festum debattiert es sich über solche Fragen relativ leicht. Soll man dem Leiden auf der Welt zusehen oder es aktiv zu lindern versuchen? In Somalia intervenierte die Weltgemeinschaft, um den Hungrigen zu helfen - und wurde zum Dank durch die Straßen von Mogadischu geschleift und aus dem Land getrieben. Als aber 1994 in nur 100 Tagen Angehörige der Hutu-Mehrheit mehr als 800.000 Tutsi ermordeten, regte sich keine Hand. Hat der Westen in Somalia seine Werte verraten oder in Ruanda?

Stabilität vor Freiheit: Das Prinzip mag zynisch klingen. Aber eine unfreie stabile Atommacht Pakistan ist womöglich besser als eine instabile freie Atommacht Pakistan. Demokratie um jeden Preis: Von Algerien bis Palästina mündete diese Devise in Siege militanter Islamisten. Wenn Stärkung der Demokratie Stärkung des Islamismus heißt, was dann? Man sieht: Alles hat seine Zeit. Heute kann Stabilität wichtig sein, morgen bereits die Freiheit. Ein ewig richtig gibt es in der Politik nicht. Und natürlich muss stets der Preis bedacht werden. Kuwait aus den Klauen Saddam Husseins zu befreien, das ging. Die Kosovaren vor den Serben zu schützen, das ging. Aber wegen Tibet einen Nuklearkrieg gegen China zu riskieren, das geht gar nicht.

Nein, der Westen hat keinen Anlass, sich wegen der Ereignisse in Tunesien und Ägypten Asche aufs Haupt zu schütten. Westliche Realpolitik orientiert sich immer an Werten.

Denn nicht Fehlerlosigkeit zeichnet ihn aus, sondern jenes offene System, das es ermöglicht, im Nachhinein seine Fehler zu erkennen und zu korrigieren. Und nur der Westen garantiert demokratische Teilhabe an der Macht und jene grundlegenden Freiheiten, nach denen es dem Rest der Welt dürstet.

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