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Chefsache. Bundeskanzlerin Angela Merkel nimmt die Hartz-IV-Verhandlungen nun selbst in die Hand.

© AFP

Kontrapunkt: Vernunft annehmen

Angela Merkel macht die Hartz-IV-Reform zur Chefsache, damit könnte Vernunft in die Verhandlungen kommen. Im Kontrapunkt erinnert Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff daran, dass das doch eigentlich alle Parteien fordern.

Das ist mal eine gute Nachricht. Weniger für Ursula von der Leyen, die Arbeitsministerin, aber beim derzeitigen Stand ihres Verhältnisses nimmt das nicht Wunder. Nein, es geht ausnahmsweise einmal um die Sache, um Hartz IV, und da hat die Kanzlerin angekündigt, dass sie das jetzt selbst in die Hand nimmt. Die SMS hätte man gerne gesehen, in denen Merkel die Beteiligten darauf einstellt.

Was das passende Stichwort gibt: Es ist auch eine Frage der Einstellung, ob es nach diesen langen und ermüdenden Verhandlungsrunden endlich zu einer Einigung zwischen Regierung und Opposition kommt. Zumal die Opposition in Gestalt von SPD und Grünen mit ursächlich dafür ist, dass überhaupt über so etwas wie Hartz-Reformen geredet werden muss – waren es doch ihre Reformen. Auch wenn die Grünen heute so tun, als hätten sie damit eigentlich wenig bis nichts zu tun; als seien sie nur der Kellner gewesen, der zu servieren hatte, was vom Koch kam, vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder. Und der sieht bis heute darin den Grund für den Aufschwung am Arbeitsmarkt.

Regelsätze, Bildung, Löhne, um diesen Zusammenhang geht es. Die Positionen sind hinlänglich debattiert, sollte man meinen. Der Regelsatz bei Hartz IV soll um ganze fünf Euro steigen, auf 364 Euro. 4,7 Millionen erwachsene Hartz-IV-Empfänger gibt es. Jeder Euro mehr für sie kostet 75 Millionen Euro. Bei den Summen, die sonst bewegt werden, um „systemisch“ Wichtiges zu retten, sollten solche Summen drin sein.

Es geht um Menschen, die es brauchen, nicht Banken, nicht Konzerne. Das ist eine auf einzelne Personen zielende Entscheidung, eine damit höchst persönlicher Auswirkung. Alles andere als eine Einigung zwischen den Parteien wirkt deshalb auf Dauer abstoßend: weil es wie eine elende Rechnerei daherkommt, eine furchtbare Kleingeisterei, mit peinvollem Hin und Her um Berechnungsgrundlagen und Alkohol und Tabak. Kommt niemand auf die Idee, dass die Betroffenen das als entwürdigend ansehen könnten?

Wenn sie wollen, kann das schnell gehen. Keine Frage ist, dass den Kindern der Hartz-IV-Familien Bildungsmöglichkeiten gegeben werden müssen; aber auch keine Frage sollte sein, dass in der Zeitarbeitsbranche Mindestlöhne nötig sind. „Vorfahrt für Vernunft“, mit diesem Slogan hat die FDP Anfang der siebziger Jahre einmal für sich geworben. Sie sollte sich gelegentlich an ihr Erbe erinnern, das auch nicht nur im Wirtschaftsliberalismus liegt.

Sicher, es ist Wahlkampfzeit, doch sollten sich alle Beteiligten daran erinnern, wofür sie gewählt wurden oder gewählt werden wollen: für die „res publica“, fürs Gemeinwohl, für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und dafür, dass Menschen Perspektiven zur Selbstverwirklichung benötigen, die nach dem großen Sozialethiker Oswald von Nell-Breuning nicht zuletzt auch in der Arbeit, der Erwerbsarbeit liegen. Das darf die Union aus Christdemokraten und Christlich-Sozialen nicht vergessen, die beide als Parteien der kleinen Leute groß geworden sind; und das darf die Sozialdemokratie mit ihrem Anspruch erst recht nicht vergessen. Selbst dann nicht, wenn sie wie in Hamburg beim Wahlkampf ganz aufs Thema Wirtschaft setzt. Die SPD plakatiert aber eben auch das Wort „Vernunft“, und dazu sollten sich dann am besten alle verstehen.

Und wenn die Kanzlerin für eines als Fachfrau angesehen werden will, dann für vernünftige Lösungen. Ergibt es sich dabei, dass sie einer Konkurrentin auf politischem Expansionskurs Grenzen setzt, passt ihr das sicher auch ins Konzept. Man(n) kennt das ja schon.

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