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Die roten Taschen sollen an die Differenz in den Lohntüten erinnern.

© Reuters

Kontrapunkt: Warum ich zehn Prozent weniger verdiene

Am Freitag war Equal Pay Day: Frauen verdienen im Durchschnitt immer noch deutlich weniger als Männer. Es ist Zeit, darüber zu reden.

„Jeder, ohne Unterschied, hat das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.“

(Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Art. 23.2)

Bis zum 25. März 2011 müssen Frauen in Deutschland arbeiten, um den Jahresverdienst der Männer von 2010 aufgeholt zu haben. Die „Equal-Pay-Day“-Initiative ruft Frauen an diesem Tag auf, mit roten Taschen ins Büro zu kommen, der Handel bietet Rabatte speziell für Frauen an. Nette Aktionen, die an einen Umstand erinnern, der eigentlich untragbar ist.

23 Prozent verdienen Frauen im Durchschnitt weniger in Deutschland. Die Zahl bezieht sich auf den durchschnittlichen Bruttostundenlohn. Man spricht vom „unbereinigten Gender Pay Gap“. Das heißt, hier fließt mit ein, dass Frauen öfter in schlechter bezahlten Branchen arbeiten, mehr Teilzeitstellen besetzen und seltener in Führungspositionen zu finden sind. Die meisten Relativierer dieser Lohndifferenz arbeiten sich an dem Wort „unbereinigt“ ab und kommen zu dem Schluss, dass die Gehälter von Frauen und Männern so überhaupt nicht vergleichbar seien, die Frauen doch selbst schuld seien, wenn sie die falschen Berufe wählen, schlecht verhandelten und weniger arbeiteten.

Das ist natürlich Quatsch, denn auch hinter dem unbereinigten Gender Pay Gap stecken strukturelle Ungerechtigkeiten, über deren Ursachen zu diskutieren ist. Doch selbst wenn man das mal für den Moment so hinnimmt: Es gibt auch einen bereinigten Gender Pay Gap, und der beträgt in Deutschland acht Prozent. Bei gleicher Tätigkeit, gleicher Qualifikation, gleicher Stundenzahl bekommen Frauen also acht Prozent weniger Lohn.

Bei mir sind es zehn Prozent, die mein Kollege mehr bekommt. Er macht das gleiche wie ich, arbeitet die gleiche Stundenzahl, hat ebenso wie ich ein Kind, ist so alt wie ich, hat das gleiche studiert.

Warum ist das so? Vielleicht, weil das Kinderkriegen und die Elternzeit dazu geführt haben, an drei Gehaltsrunden nicht teilzunehmen? In den Schwangerschaftsmonaten forderte ich nicht mehr Geld, weil ich wusste, dass ich bald ausfalle, in der Elternzeit stieg das Gehalt natürlich auch nicht, und als ich zurückkam, fand ich es ebenfalls nicht angebracht, sofort eine Lohnerhöhung zu fordern. Zumal ich wusste, dass ich ab sofort nicht mehr so flexibel sein werde, öfter würde zu Hause bleiben müssen, wenn mein Kind krank wäre, bei Abend- und Wochenendeinsätzen nicht mehr spontan einspringen könnte.

Ich erzähle das, weil es nicht reicht, wenn Forscher die Ursachen für den Gender Pay Gap benennen und dafür Faktoren wie „horizontale und vertikale Arbeitsmarktsegregation“, „Privatisierung von Reproduktionsarbeit“, „Stereotypisierungen“ und jede Menge Statistiken anführen. Das ist alles richtig und wichtig, und das erklären sie seit Jahren. Allein, es nützt nichts. Die Relativierer, „Selbst schuld, und der Markt wird’s richten“-Sager interessiert das nicht.

Führt man dagegen persönliche Gespräche, fragt Frauen und Männer, schaut sich im eigenen Büro um, beim Einkaufen, bei den Freunden, den Eltern, bekommen diese Begriffe plötzlich einen Umriss. Warum macht der Kollege, der vor kurzem Vater geworden ist, plötzlich Karriere und arbeitet täglich bis spät abends? Warum rennt die Kollegin, die nach einem Jahr Elternzeit zurückkommt, dagegen jeden Tag um 15:30 Uhr aus dem Büro? Warum braucht man für Begriffe wie „Old Boys Network“ so wenig Fantasie?

Jede einzelne Geschichte, die ich bisher gehört habe, war für sich nachvollziehbar, jeder und jede hatte gute Gründe, dass es sich eben zufällig wieder so ergeben hat, dass der Mann mehr arbeitet und die Frau sich mehr um die Kinder kümmert. Doch so viel Zufall sollte auf Dauer stutzig machen.

Wollen wir den Gender Pay Gap schließen, müssen wir für Transparenz sorgen. Es ist nicht verboten, über sein Gehalt zu reden. Wir müssen unsere Vorstellung von Familie, Frauen und die Überfrachtung der Mutterrolle überprüfen. Vor allem aber müssen wir an der familienfeindlichen Arbeitskultur rütteln. Meetings um 18 Uhr einerseits und Familienleben mit Abendessen, Zeitnehmen fürs Kind, Vorlesen und Zähneputzen beaufsichtigen andererseits, diese beiden Ansprüche passen meistens schlecht zusammen. Solange Kinderhaben für Frauen ein beruflicher Nachteil ist, solange haben übrigens auch kinderlose Frauen Nachteile, weil sie potentielle Mütter sind. So lange im Beruf Präsenz belohnt wird und derjenige Karriere macht, der sichtbar ist, möglichst lange im Büro bleibt, und rund um die Uhr erreichbar ist, so lange haben Frauen eine schwächere Verhandlungsposition – zumindest solange, wie sie es sind, denen die Gesellschaft die Hauptverantwortung für Kinder zuschreibt. Bis sich da etwas ändert, könnten auch Tarifverträge, Quoten und ein Entgeltgleichheitsgesetz etwas ausrichten. Vor allem aber: Reden wir darüber. Das Private ist politisch.

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