zum Hauptinhalt

Kontrapunkt: Was bleibt, wenn Christian Wulff bleibt?

Die Wulff-Debatte ist noch nicht beendet, die Liste der Verlierer indes wird täglich länger, meint Malte Lehming. Und das liegt nicht allein am Bundespräsidenten.

Man kann die Justiz für korrupt halten, das Bankwesen verlottert nennen und Deutschland als Bananenrepublik verspotten. Doch einmal angenommen, dass das etwas übertrieben ist und es im Großen und Ganzen zivil zugeht in diesem Land, wo stehen wir dann in der Debatte um den Bundespräsidenten? Es ist Zeit für eine kleine Zwischenbilanz. 

Christian Wulff ist immer noch im Amt. Die Staatsanwaltschaft in Stuttgart hat erklärt, sie werde keine Ermittlungen gegen ihn oder Verantwortliche der BW-Bank einleiten. Das Geldgeschäft habe einer juristischen Prüfung standgehalten. Auch die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) hält das Darlehen ihrer Tochter BW-Bank an Wulff für regelkonform. Der Prüfungsausschuss des Aufsichtsrates stellte fest, „dass die Kreditvergabe gemäß den internen und banküblichen Regelungen erfolgte“. Diese beiden Seifenblasen sind also geplatzt. 

Bleibt als vorerst Letztes die Verbindung zu Wulffs Ex-Sprecher Olaf Glaeseker, dessen Büroräume im Bundespräsidialamt in der vergangenen Woche durchsucht wurden. Nun werden jährlich in Deutschland mehrere Millionen Ermittlungsverfahren eingeleitet – und die allermeisten davon später wieder eingestellt. Auch Durchsuchungsbeschlüsse sind noch lange kein Urteilsspruch. Überdies richten sich die Ermittlungen nicht gegen den Bundespräsidenten, sondern gegen dessen ehemaligen Mitarbeiter. Dennoch ist der Glaeseker-Strang aufgrund des früheren sehr engen Verhältnisses ein durchaus ernst zu nehmender Schwachpunkt in Wulffs Verteidigungskette.

Bereits jetzt gelitten hat fraglos das Amt selbst. Joschka Fischer wurde dieser Tage von „Cicero“ gefragt, ob er sich selbst vorstellen könnte, Bundespräsident zu werden. Er antwortete: „Nein. Ich habe mein Leben so geführt, dass ich den hohen moralischen Standards, die neuerdings an öffentliche Ämter durch die Medien angelegt werden, nicht mehr gerecht werde. Demnächst wird der Bundespräsident über das Wasser wandeln müssen und dann wird man ihn fragen, ob er am Ende den Erwerb dieser Fähigkeit sich nicht hat subventionieren lassen.“ 

Ähnlich äußerte sich zuvor der hannoversche Landesbischof Ralf Meister. „Schamlos wird alles öffentlich, was einst durch den Schutz der Privatheit persönlich blieb“, sagte der evangelische Theologe. Besonders abstoßend sei die Gnadenlosigkeit einiger Medien: „Ich fürchte mich manchmal vor einer nackten, einer vollständig entblößten Gesellschaft, die das Gespür für die Gnade Gottes verloren hat.“ Es sei unbarmherzig, anderen Menschen ihre Schuld nicht vergeben zu wollen. 

Insbesondere die Bild-Zeitung muss sich fragen, falls Wulff im Amt bleibt, wie viele Niederlagen sie verträgt.

Das zielt auf die Medien. Auf dem Portal meedia.de schreibt Stefan Winterbauer: „Dass Wulff mit seiner Aussitz-Taktik durchkommt, nervt zwar und ist ganz schön peinlich – aber im Kern ist das auch wieder eine gute Nachricht. Genausowenig, wie der Präsident mit seinen wirren Drohungen die Pressefreiheit ankratzen konnte, schafft es die geballte Medien-Maschinerie, Wulff aus dem Amt zu schreiben. Die beiden angeblich mächtigsten Print-Medien des Landes, Bild-Zeitung und Spiegel, erweisen sich letztlich als Papiertiger. Zum Glück! Bestenfalls lernen beide Seiten, Präsident und Presse, aus der Geschichte ein bisschen mehr Demut.“ 

Insbesondere „Bild“ muss sich fragen, falls Wulff im Amt bleibt, wie viele Niederlagen eine Boulevard-Zeitung verträgt. Pro Kohl und pro Papst – geschenkt. Aber pro Tempelhof, pro Reli, pro Gauck, pro Guttenberg, anti Griechenlandhilfe: „Bild“ kassiert eine Klatsche nach der anderen. Das kratzt erheblich an dem Image, eine publizistische Macht zu sein. 

Eine nicht sehr glückliche Figur macht auch die SPD. Unentwegt fordern Parteichef, Fraktionschef und Generalsekretärin den Rücktritt von Wulff. Die Bundesrepublik, sagte Frank-Walter Steinmeier jetzt, sei „für viele Länder ein Vorbild, was die Sauberkeit der Politik und die Unabhängigkeit ihrer Verantwortungsträger angeht“. Die Debatte um Wulff nehme Deutschland einiges von diesem Nimbus. Aber das Publikum lacht bei solchen Sätzen des Gerhard-Schröder-Zöglings innerlich natürlich laut auf, weil es dabei unwillkürlich an das Gasprom-Engagement Schröders denkt, der einst den Atomausstieg beschloss, der wiederum die Importabhängigkeit Deutschlands vom russischen Erdgas vergrößerte. 

Den Steuerzahler wiederum kommt die Affäre teuer. Denn bald gibt’s keine Sponsoren mehr. Aus panischer Angst vor Korruptionsverdacht gehen Politiker und Unternehmer auf Abstand voneinander. Der Bundespräsident wird sein Sommerfest künftig aus Steuergeldern bezahlen, ebenso wird Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit auf private Sponsoren für sein Sommerfest verzichten müssen. Und in den VIP-Bereichen von Sportveranstaltungen, Partys und Konzerten tummeln sich bald allenfalls noch C-Typen. 

Noch ist die Wulff-Debatte nicht beendet. Die Liste der Verlierer indes wird täglich länger.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false