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Manche sind faul, dumm und nicht jeder kann Universitätsprofessor werden - sagen Verteidiger der Hauptschule.

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Kontrapunkt: Wer ist der Hauptschüler?

Niemand will hin - die Hauptschule ist ein Auslaufmodell, sagt Tissy Bruns. Seit die CDU sie abschaffen will, entdecken ihre Verteidiger wieder einmal einen pädagogischen Nutzen - den sie nie hatte.

Die Schule, ob sie will oder nicht, ist immer auch ein Spiegel der Gesellschaft. Die deutsche Dreigliedrigkeit von Volks-, Realschule und Gymnasium wurzelt im 19. Jahrhundert, sie war sozial und kulturell selektiv und musste sich mit pädagogischen Begründungen für die drei Schularten nicht lange aufhalten. Die blieben auch dürftig, als Bildung und Wissen zum Motor von Aufstieg und Durchlässigkeit wurde.

Dreierlei Menschen braucht die Maschine, lautete die gängige Begründung für die drei Schularten: den, der sie bedient, und in Gang hält, den, der sie repariert und verbessert, schließlich, den, der sie erfindet und konstruiert. Die viel zitierte Weisheit stammt aus dem Jahr 1955 und passte zum Wirtschaftswunderland, das soziale Herkunft und Bildungsbeteiligung nicht mehr ganz ungeniert verkoppeln konnte. Die verschiedenen Schulen dienten vorgeblich verschiedenen Begabungen, der Volksschüler war der praktisch, der Gymnasiast der theoretisch begabte Schüler, der eine je eigne Schulform brauchte.

Zehn Jahre später sprengte das Menetekel vom „Bildungszwerg Deutschland“ die Selbstverständlichkeiten von Schulbesuch und Herkunft auf. Das katholische Arbeitermädchen vom Lande sollte Abitur machen, das Bafög öffnete die Hochschulen für Nichtakademikerkinder, die Volks- hieß alsbald Hauptschule und der Hauptschulabschluss führte zum Lehrvertrag wie der an Realschulen.

Heute schnappen Abiturienten den erfolgreichen Realschülern die Ausbildungsplätze weg. Hände ringend jammert die Wirtschaft über den Fachkräftemangel, dreiviertel aller Eltern schicken ihre Kinder aufs Gymnasium, die Durchlässigkeit zwischen den Schularten ist nicht mehr die des Auf- , sondern des Abstiegs. Die Schulabbrecherquoten sind hoch.

Was ist passiert? Passen die „praktischen Begabungen“ nicht ins Zeitalter der neuen Technologien? Warum sind die theoretischen im vormaligen Erfinderland Deutschland auf geheimnisvolle Weise knapp geworden für die zukunftsträchtigen MINT-Fächer (Mathe, Informatik, Naturwissenschaften, Technik)?

Tatsächlich geht natürlich niemand auf die Hauptschule, weil nach der vierten oder sechsten Klasse eine besondere praktische Begabung bei ihm festgestellt wurde. Sondern weil er in Rechnen und Deutsch schwächer ist als die anderen. Oder weil die zugewanderten Eltern Schulpflicht in einer Neun-Klassen-Schule angesichts der eigenen Schulkarriere schon lang finden. Oder weil Mütter und Väter ohne Abitur das Gymnasium für ihr Kind eine Nummer zu hoch finden, während Akademikereltern auf das Bildungsprivileg ihrer Kinder, nämlich die helfenden Eltern, vertrauen können.

In Deutschland gibt es heute eine geradezu lächerliche Weigerung, die sozialen Bildungsschranken ernst zu nehmen und das Bildungspotential von Benachteiligten als Motor von Dynamik, Innovation und Konkurrenzfähigkeit zu nutzen. Hierzulande geht auch das kleine Mathegenie unter, weil die Textaufgaben jenseits seiner Lebensrealität liegen und seine Sprachdefizite zu spät angepackt werden.

Die Reaktion auf die Abschaffung der Hauptschule durch die CDU offenbart ein jämmerliches Bildungsbiedermeier, eine pragmatisch getarnte Ideologie der Begabungen, die der Realität nicht standhält. Wer eine Strukturrefom zum zweigliedrigen Schulsystem für richtig hält, wird mit suggestiven Selbstverständlichkeiten unter den Generalverdacht der Gleichmacherei gestellt: Es seien doch nicht alle gleich begabt. Manche sind faul, dumm und nicht jeder kann Universitätsprofessor werden.

Es sei Irrtum, lautet so ein Satz, mit der Hauptschule könne man auch die Hauptschüler abschaffen. Wer aber ist "der Hauptschüler", jenes Wesen, das es nur in Deutschland und auch dort längst nicht mehr im jedem Bundesland gibt. In Sachsen zum Beispiel, dem Pisa-Vorzeigeland, gibt es nur noch zwei Schultypen und keine Hauptschule mehr. Die Gruppe der lern- und kompetanzschwächeren Schüler ist in der sächsischen Mittelschule so niedrig wie nirgendwo im Deutschland.

Es ist wahr, dass das zweigliedrige Schulsystem kein Allheilmittel unserer Bildungsprobleme ist. Gute Schule aber ist nur möglich in einer Landschaft, in nicht nur die Lehrer darauf bauen, sondern die ganze Gesellschaft daran glaubt, dass in jedem Kind etwas steckt, das die Schule wecken kann. "Der Hauptschüler" oder "das Hartz-IV-Kind" aber sind sind Chiffren für Entmutigung und frühes Versagen, elitäres Denken - das Gegenteil des Aufstiegsgeistes einer Bildungsnation.

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