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Wer trägt die Kosten für die Pflege? Die Kinder nur bis zu einem gewissen Grad, hat der Bundesgerichtshof entschieden.

© dpa

Kosten der Pflege: Immer noch ein Tabu

Richtige Linie: Der Bundesgerichtshof bestätigt die Unterhaltspflicht von Kindern für ihre Eltern, begrenzt aber erhebliche Eingriffe in den Lebensstandard.

Eltern in Not, Kinder in Angst. So kann es gehen, wenn Vater oder Mutter pflegebedürftig, Söhne und Töchter dafür zur Kasse gebeten werden. Und das geschieht immer öfter. Nicht nur weil die Zahl der Pflegefälle, insbesondere der Demenzkranken, seit geraumer Zeit massiv ansteigt, sondern auch weil die Kommunen klamm sind. Sozialämter holen also bei der zweiten Generation, was zu holen ist, wenn es in der ersten einen Pflegefall gibt.

Völlig richtig, könnte man denken. Den erstens sind nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch Verwandte (in gerader Linie) dazu verpflichtet, einander beizustehen. Und zweitens gibt es so etwas wie eine „Dankesschuld“ der Kinder gegenüber ihren Eltern. Schon Aristoteles hat davon gesprochen. Und es scheint nur gerecht und billig zu sein, wenn Kinder ihren alt gewordenen Eltern etwas von dem zurückgeben, was diese für sie aufgewendet haben. Ein Kind großzuziehen kostet nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes schließlich die satte Summe von ungefähr 120 000 Euro. Und diese Rechnung geht nur bis zur Volljährigkeit. Sollte dann noch eine längere, womöglich universitäre Ausbildung dazukommen, sind die 200 000 schnell erreicht. Wenn es also so etwas wie Generationengerechtigkeit geben soll und auch noch die Aussicht auf eine Erbschaft besteht – warum nicht ans Konto der Kinder ran?

Klassische Familienverbände gibt es kaum noch - so landet die Frage nach den Pflegekosten oft vor Gericht

So weit die Moral, so weit, so einfach. Und in Jahrhunderten wurde ja auch nach diesem Prinzip verfahren. Das berühmte „Austragshäusel“, in dem die Eltern ihren Lebensabend fristeten (oft mehr schlecht als recht allerdings), ist nur ein Beispiel dafür.

Aber genau da beginnt es kompliziert zu werden. Weil die einfach strukturierten agrarischen Zeiten vergangene Zeiten sind. Traditionelle Begründungen haben es schwer in einer Wirklichkeit, da klassische Familienverbände in Auflösung begriffen sind, mehr als jede dritte Ehe geschieden wird, allzu viele in prekären Arbeitsverhältnissen leben und emotionale Bindungen zwischen Vater, Mutter, Kind vielfach geringer werden. Besonders problematisch ist der Elternunterhalt bei der sogenannten Sandwichgeneration, die zugleich für eigene Kinder und für pflegebedürftige Eltern aufkommen soll.

Kein Wunder, dass das Thema häufig vor Gericht landet, schließlich ist jeder Einzelfall anders und familiäre Gerechtigkeit nicht eben leicht herzustellen. Allein der Bundesgerichtshof hat sich seit 2002 ein Dutzend Mal damit befassen müssen. Durchgesetzt hat sich dabei das Prinzip, nach dem die Unterhaltspflicht von Kindern für ihre Eltern bestätigt wird, zugleich aber erhebliche Eingriffe in den Lebensstandard begrenzt wurden.

Offen war bis gestern, inwieweit auch Immobilien der Kinder von den Sozialämtern in Rechnung gestellt werden dürfen. Nun hat der BGH diese Lücke geschlossen. Nur Einkünfte und Vermögen der Kinder können herangezogen werden, urteilte er, Immobilien aber, sofern sie „angemessen selbst genutzt“ werden, nicht. Das Gericht betrachtete sie als „Notgroschen“ für den eigenen Unterhalt.

Doch das emotionale Thema kann auch der Bundesgerichtshof nicht aus der Welt räumen

Der Bundesgerichtshof bestätigte damit seine bisherige Linie und präzisierte sie. So erfreulich diese Klarheit ist, so gewiss ist auch, dass das emotional enorm besetzte Thema weiter strittig sein wird. Und das kann kein Gericht aus der Welt schaffen. Das müssen die Familien schon selbst tun. Sie müssen darüber reden. Und zwar zeitig, lange bevor der Ernstfall eintritt. Genau das aber geschieht nicht, fast nie. Weil Pflege immer noch ein Tabu ist.

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