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Meinung: Krank geredet

Von Alfons Frese

Es ist Sommer. Und wie alle Jahre tun sich plötzlich große Löcher auf, aus denen dann wichtige Leute herausspringen, mit einem lauten Ruf auffallen und dann wieder verschwinden. So wie der Präsident des Handwerks, der mit einem ungewöhnlichen Vorschlag den Standort Deutschland retten will: Wer krank war, soll später etwas nacharbeiten. Diese Idee des Präsidenten kann man verstehen, denn dem Handwerk geht es schlecht. Und wenn die angestellten Handwerker länger arbeiten, wird das der Firma sicher gut tun. Hat sich der Präsident gedacht. Und dann? Nichts weiter. Der Präsident hat sich das falsche Thema gegriffen.

Denn der Krankenstand in Deutschland ist nicht das Problem unserer Wirtschaft. Von 100 Arbeitnehmern sind gegenwärtig weniger als vier krank, das ist ein historischer Tiefstand. Selbst am Montag wird heute kaum noch blaugemacht, wofür das arbeitgebernahe Institut der Wirtschaft eine interessante Erklärung hat: Wenn die Leute bereits zu Wochenbeginn angeschlagen sind, schleppen sie sich trotzdem zum Arbeitsplatz, bis es dann gegen Mitte der Woche schließlich gar nicht mehr geht. Bei fünf Millionen Arbeitslosen kein Wunder. Bloß nicht als Kostenfaktor auffallen. Bloß nicht krank sein. Und wenn es sein muss, auch länger arbeiten. Das tun sehr viele in Deutschland auch ohne zusätzliche Bezahlung.

Und flexibel sind sie sowieso: Gearbeitet wird dann, wenn der Auftrag vorliegt, der Kunde die Arbeit nachfragt. Und genügsam sind sie erst recht, die Arbeitnehmer am Standort Deutschland. In den vergangenen zehn Jahren sind die Reallöhne gesunken – das gab es in keinem anderen Land der EU, hat aber leider auch nicht zu mehr Arbeitsplätzen geführt. Vielleicht ist doch die Binnennachfrage zu schwach, von der doch vor allem Handel und Handwerk abhängen. Womöglich ist die Stimmung so schlecht, weil Investoren und Konsumenten damit rechnen, dass alles noch schlimmer kommt. Und wir uns irgendwann alle krank geredet haben. Der Patient Deutschland – schwer zu kurieren, nachdem Verbandspräsidenten und Standortverächter jahrelang auf ihn eingeprügelt haben.

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