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Drei Babys sind an der Mainzer Uniklinik gestorben, vermutlich infolge verunreinigte Infusionslösungen.

© dpa

Krankenhaushygiene: Gesetze töten keine Keime

Von Regelungsmangel im Umgang mit Infusionslösungen kann keine Rede sein. Warum an der Uniklinik in Mainz dennoch drei Säuglinge starben. Ein Kommentar.

Elf Kinder wurden mit verunreinigten Infusionen behandelt, drei Säuglinge starben. Die offizielle Todesursache steht noch nicht fest. Jedoch sind aller Wahrscheinlichkeit nach gefährliche Darmbakterien in die sterilen Lösungen gelangt. Wie das geschehen konnte, ist Ärzten und Ermittlern ein Rätsel.

Dennoch hat das unfassbare Geschehen an der Uniklinik Mainz bei Politikern und Lobbyisten bereits die üblichen Reflexe ausgelöst. Bundespolitiker fordern mehr Gesetze auf Bundesebene. Landespolitiker fordern neue Hygieneverordnungen der Länder. Krankenhaushygieniker fordern mehr Hygieniker für Krankenhäuser. Das in Mainz zutage getretene Problem hat jedoch weder mit Krankenhaushygiene noch mit fehlenden Verordnungen zu tun. Schuld am Tod der Säuglinge sind, nach derzeitigem Kenntnisstand, besonders perfide Bakterien und menschliches Versagen.

Bekannt wurde, dass die Infusionen mit Enterobacter cloacae und einem weiteren, eng verwandten Bakterium verunreinigt („kontaminiert“) waren. Damit steht die Todesursache so gut wie fest, denn Enterobacter ist einer der gefährlichsten und häufigsten Auslöser von Blutinfektionen im Säuglingsalter. Der Keim lebt, zusammen mit rund eintausend weiteren Bakterienarten, im menschlichen Darm. Geringe Mengen finden sich auf der Haut und auf allem, was von Menschen angefasst wurde.

Enterobacter gehört zu den „Problemkeimen“ im Krankenhaus, die gegen die üblichen Antibiotika resistent sind und sich massiv vermehren, wenn das Personal die Hygieneregeln nicht einhält.

Doch mit diesem, durchaus wichtigen Problem haben die Mainzer Todesfälle ausnahmsweise nichts zu tun. Wenn Neugeborene künstlich ernährt werden, brauchen sie individuell gemischte Infusionslösungen. Die Komponenten werden von Pharmafirmen steril hergestellt und vor der Auslieferung zusätzlich auf Keimfreiheit geprüft. Da Bakterien teilweise sehr langsam wachsen, dauert diese Prüfung mehrere Tage. Kontaminationen kommen hier extrem selten vor und werden schnell erkannt, weil immer eine ganze Charge betroffen ist.

Kritisch wird es erst, wenn die Krankenhausapotheke aus den Komponenten einen Cocktail mischt. Die enthaltenen Aminosäuren, Zucker und Fette würden sich beim Sterilisieren zersetzen oder miteinander reagieren. Deshalb können beim Mischen eingeschleppte Keime nicht mehr abgetötet werden, ganz im Gegenteil: In der perfekten Nährlösung vermehren sie sich prächtig. Nach acht Stunden bei sommerlichen Temperaturen sind aus einem einzigen Darmbakterium rund acht Millionen geworden.

Unter anderem aus diesem Grund unterliegt die Herstellung von Infusionslösungen dem Arzneimittelgesetz und weiteren strengen, bundeseinheitlichen Vorschriften – von einem Regelungsmangel auf Länderebene kann keine Rede sein. Die Infusionen werden in nahezu keimfreier Luft hergestellt. Die Mischautomaten (Compounder) sind so konstruiert, dass nur solche Plastikschläuche mit der Infusionslösung in Berührung kommen, die steril angeliefert und nach Gebrauch weggeworfen werden. Für jeden Handgriff gibt es exakte Dienstanweisungen, das Personal muss regelmäßig geschult werden.

Damit sich dennoch eingeschleppte Keime nicht stärker vermehren, müssen die Infusionen umgehend verwendet werden. Die maximal zulässigen „Laufzeiten“ liegen meist im Bereich einiger Stunden. Durch diese Vorsichtsmaßnahme entsteht jedoch ein Problem, das bislang weltweit ungelöst ist: In der kurzen Laufzeit ist eine Sterilitätskontrolle mit Anzüchtung der Keime nicht machbar. Schnellere Methoden, wie die Detektion von Bakterien-DNA (PCR) oder der mikroskopische Nachweis künstlich leuchtender Bakterienkolonien (Mikro-Biolumineszenz), sind in Erprobung, jedoch noch nicht allgemein verfügbar. Deshalb konnten die Mikrobiologen in Mainz erst Alarm schlagen, als die Infusionen schon verabreicht waren.

In Mainz gelangten die Bakterien höchst wahrscheinlich durch einen menschlichen Fehler in das sterile Schlauchsystem des Compounders – die kurze Berührung eines Anschlusses mit der ungeschützten Haut reicht bereits aus, um drei Kinder zu töten.

Der Autor ist Institutsdirektor für Medizinische Mikrobiologie in Halle-Wittenberg.

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